2007 starb mit Ingmar Bergman einer der einflußreichsten Regisseure nach 1945. Mit seinen Filmen beeinflußte er nicht nur das Denken einer ganzen Generation, sondern Filmemacher von Woody Allen bis Hans Christian Schmid. Nach seinem Tod scheint Bergman aus dem öffentlichen Bewußtsein in den Tiefen der Filmgeschichte abgelegt worden zu sein. Zu unrecht, wie die Präsentation seines Gesamtwerks im Rahmen der diesjährigen Berliner Filmfestspiele zeigt, die von einer umfangreichen Ausstellung zu Leben und Werk Bergmans begleitet wird.
In den letzten Jahren hat Arthaus-Kinowelt Ingmar Bergmans Gesamtwerk bereits nahezu komplett auf DVD veröffentlicht bzw. in diversen Kombinationen aufgelegt. Im Mittelpunkt stehen natürlich seine bekanntesten Filme „Das Schweigen“ „Das siebente Siegel“, „Jungfrauenquelle“, „Wilde Erdbeeren“ und „Szenen einer Ehe“ – die gleich in mehreren Fassungen.
Sie enthält aber auch Filme, die inzwischen etwas aus dem Blick geraten sind wie „Das Lächeln einer Sommernacht“. Lange Zeit einer der populärsten Filme des Regisseurs.
Ingmar Bergman (Jahrgang 1918) hatte 1945 als Regisseur debutiert und bereits 16 Filme inszeniert, bis ihm 1955 mit „Das Lächeln einer Sommernacht“ der internationale Durchbruch gelang. Die heiter-melancholische Komödie machte Bergman bei den Filmfestspielen von Cannes bekannt:
Schweden um 1900: Frederik Egermann (Gunnar Björnstrand) ist Anwalt und in zweiter Ehe mit der wesentlich jüngeren Anne (Ulla Jacobsson) verheiratet. Frederik ist ein Mann, der seine Unsicherheit hinter Zynismus und Pedanterie zu verbergen sucht. Eigentlich liebt er immer noch die ebenso lebenserfahrene wie sinnliche Schauspielerin Desiree (Eva Dahlbeck), während sich seine junge Frau – alleingelassen – auch nach körperlicher Zuneigung sehnt.
Die unbefriedigte Anne sucht schließlich Trost bei Frederiks Sohn (Björn Bjelfvenstam) aus erster Ehe und beim männlichen Dienst-Personal. Mit Witz und eleganter Pikanterie beschäftigt sich Bergman in „Das Lächeln einer Sommernacht“ mit den Möglichkeiten und Begrenzungen von Partnerschaften – einem seiner immer wiederkehren Themen.
„Das Lächeln einer Sommernacht“ ist einer der schönsten Filme über die Liebe. Die DVD enthält eine technisch einwandfreie Fassung des Films. Außerdem einen Audiokommentar des Mainzer Filmwissenschaftlers Thomas Koebner.
Der populärste und auch kommerziell erfolgreichste Film Ingmar Bergmans ist „Das Schweigen“ von 1963. Das hatte weniger mit dem Inhalt zu tun, als mit drei – für heutige Verhältnisse ausgesprochen dezenten erotischen Szenen – die zusammen nicht einmal zwei Minuten dauern.
Die beiden Schwestern Esther (Ingrid Thulin) und Anna (Gunnel Lindblom) sind mit Annas kleinem Sohn Johan (Jörgen Lindström) mit der Bahn unterwegs. Nach einem Zusammenbruch der lungenkranken Esther sind sie gezwungen, in einer fremden Stadt Station zu machen und in einem nicht sonderlich frequentierten Luxushotel abzusteigen.
In der Stadt herrscht eine stickig bedrohliche Atmosphäre, auf der Straße vor dem Hotel rollen Panzer vorbei.
Während Johan einsam durch die Hotelflure streift, entladen sich die Spannungen zwischen den Schwestern in Erniedrigungen und Beschimpfungen. Schließlich reist Anna mit Johan ab. Die sterbende Esther bleibt allein zurück.
Zusammen mit „Licht im Winter“ und „Wie in einem Spiegel“ bildet „Das Schweigen“ eine Trilogie, in der sich der protestantische Pastorensohn Ingmar Bergman Anfang der 60er Jahre mit der Existenz Gottes beschäftigte.
„Das Schweigen“ meint das Schweigen Gottes gegenüber der Welt und ihren verhärteten Menschen. Bergman der verstörende Zweifler, der den europäischen Existenzialismus auf den filmischen Punkt brachte. Das ist eine der Schubladen, in dem der Regisseur bis heute steckt. Zeit für eine Neuentdeckung.
Bereits in seinem 1949 entstandenen Film „Durst“ hat sich Ingmar Bergman mit einer Welt ohne Gott beschäftigt: den äußeren Rahmen bildet eine Reise von Basel nach Stockholm. An den Zugfenstern gleitet die Welt der vom Krieg zerstörten deutschen Städte vorbei. In Westdeutschland war „Durst“ zunächst als „moralisch angekränkelt“ verboten, dann aber nach drastischen Schnitten von der FSK frei gegeben worden.
Kinowelt präsentiert den Film in der Originalfassung und der deutschen Version, in die die einst entfernten Szenen wieder eingefügt sind – aus dem Original mit Untertiteln.
Rut (Eva Henning) und Bertil (Birger Malmsten) sind auf der Rückreise aus dem Italienurlaub. Die Hoffnung, dabei die Krise ihrer Beziehung zu bereinigen hat sich nicht erfüllt. Auf der Fahrt durch die Trümmerlandschaft beginnen sich die Grenzen zwischen Alptraum und Wirklichkeit zu verwischen.
In seiner strengen Stilisierung ist „Durst“ ein frühes Meisterwerk – in dem bereits der ganze Kosmos Ingmar Bergmans enthalten ist und der damit seiner Zeit weit voraus war.
„Da ich einen ewigen Tumult mit mir herumtrage, den ich aber unter Aufsicht halten muss, habe ich Angst vor dem Unberechneten, dem Unberechenbaren“. Das schrieb Ingmar Bergman 1987 in seiner Autobiographie „Laterna Magica“, die jetzt zum ersten Mal komplett in deutscher Übersetzung zur Berliner Retrospektive im Alexander Verlag erschienen ist.
Das besondere Interesse der Retrospektive und der Werkausgabe Bergmans auf DVD gilt der Wiederentdeckung weniger bekannter Filme wie zum Beispiel „Durst“ aus der Frühzeit seiner Karriere oder „Die Zeit mit Monika“,den Ingmar Bergman 1952 gedreht hat.
27 DVDs umfasst inzwischen die bei Arthaus-Kinowelt erschienene Bergman-Edition. Sie verteilt sich auf zwei Boxen, die jeweils 60 Euro kosten und diverse Einzel-und Doppel DVDs zwischen 10 und 15 Euro.
Außerdem sind im Bertz + Fischer Verlag zwei neue Bücher zu Leben und Werk des großen Europäers Ingmar Bergman erschienen: „Ingmar Bergman. Essays, Daten, Dokumente, Hrsg. Deutsche Kinemathek“ – das auf höchstem Niveau geschriebene Begleitbuch zu Retrospektive und „Ingmar Bergman. Von Lüge und Wahrheit, Hrsg. Nils Warnecke und Kristina Jaspers“. Der Ausstellungskatalog.
Daraus ist nicht zu übersehen, das Ingmar Bergman einer der ganz großen Vertreter der Geistesgeschichte im 20. Jahrhundert war und nichts von seiner Bedeutung eingebüßt hat.