…werfen ihre Schatten voraus. So heißt es. Die Berliner Filmfestspiele in diesem Jahr betreffend, entspricht das einer mittleren Sonnenfinsternis. Von der seriösen ZEIT bis zu weniger seriösen Blättern wird das Ereignis „60 Jahre Berlinale“ gewürdigt. Ich meine, zu Recht. Dieses Festival hat etwas, was den anderen in der Liga der so genannten A-Festivals abgeht: Charme! Das fängt mit Äußerlichkeiten an, wie der Architektur des neuen Potsdamer Platzes. Zur „Berlinale“-Zeit, im wettermäßig meist tristen Februar, hat die futuristische Architektur Flair – wird selbst zur Filmkulisse. Als hätte hier ein begabter Set-Designer Hand angelegt. Übers Jahr mag das Ganze eher abschreckend wirken, aber ab dieser Woche wird der „Marlene Dietrich-Platz“ für elf Tage wieder zur SCHAUbühne, aus dem Musicaltheater der „Berlinale Palast“:
Aus einer Sonnenkugel ergießt sich vor jedem Film im Offiziellen Programm der Berliner Filmfestspiele ein Sternenregen von der Leinwand: Dagegen wirkt der Trailer von Cannes mit Saint Saens und einem im Orbit aufklappenden Palmenblatt direkt bieder. Das ist symptomatisch für das Verhältnis zwischen den beiden global bedeutendsten Filmfestivals. Berlin hat Cannes in den letzten Jahren an Atmosphäre, Eleganz und inhaltlicher Kompetenz den Rang abgelaufen. Das hat mit der Persönlichkeit, dem Sachverstand und dem Organisationstalent von Berlinale-Chef Dieter Kosslick zu tun, der vorher in Düsseldorf mit der „Filmstiftung Nordrhein-Westfalen“ der staatlichen Filmförderung neue Wege wies. Ein Geheimnis von Kosslicks Erfolg ist aber auch seine Teamfähigkeit. Im vergangenen Jahr drohte der Berlinale zum 60. Geburtstag ein dramatischer Finanzeinbruch, nach dem sich der klamme VW-Konzern als Hauptsponsor zurückgezogen hatte. Inzwischen fand sich dank Kosslicks diplomatischem Geschick angemessener Ersatz. Die Berlinale ist inzwischen nämlich ein eigener Markenartikel, das Aushängeschild der deutschen Medienbranche: Dazu gehört eine eigene Produktlinie im Merchandisingbereich, wie man sie von Fußballvereinen und anderen Großunternehmen kennt: allerdings edel im oberen Preissegment: das Angebot von „Berlinale“-Artikeln reicht von der Porzellantasse eines namhaften Herstellers, über den Füllfederhalter einer angesagten Berliner Manufaktur bis zu einem schicken Jogging-Anzug von Boss. Alles mit diskretem Berlinale-Logo:
- Der Berliner Bär in Plüsch
Die Berlinale ist „In“! Deshalb hatte Dieter Kosslick in diesem Jahr wieder keine Mühe, eine illustre Gästeliste zu präsentieren. Leonardo DiCaprio hat sich ebenso angesagt wie Gerard Depardieu. DiCaprio bringt seinen Regisseur Martin Scorsese mit. Niemand wird Kosslick verübeln, dass es sich dabei im Grunde um einen Promotion-Auftritt zur Absatzförderung ihres neuen Films „Shutter Island“ handelt, der kurz nach der Berlinale weltweit in den Kinos startet:
Das trifft auch auf Roman Polanski neues Werk „The Ghostwriter“ zu, der ebenfalls im Rahmen der Berliner Filmfestspiele seine Premiere haben wird. Der Regisseur wird sich von Hauptdarsteller Ewan MacGregor vertreten lassen, da er sein Schweizer Arrest nicht verlassen darf. Doch nicht nur Stars werden ab Donnerstag in Berlin erwartet: Auch in diesem Jahr gelang den Filmfestspielen wieder eine bemerkenswerte Kombination mit jungen, bisher unbekannten Talenten. So darf man beispielsweise auf den Film „Shahada“ gespannt sein. Dabei handelt es sich um die Diplom-Arbeit Burhan Qurbanis an der Filmakademie Baden-Württemberg. Er hat mit seinem Debut gleich den Riesenschritt von Ludwigsburg in den Internationalen Wettbewerb um die Goldenen und Silbernen Bären der „Berlinale“ geschafft. Dass das möglich ist, gehört ebenfalls zum Profil dieser Filmfestspiele. Wir sind gespannt!
Aus dem SWRcont.ra Medienmagazin: [media id=50 width=320 height=20]