An diesem Freitag hätte man sich glatt mehrfach klonen sollen: da gab es parallel zum neuen Polanski (siehe weiter unten) erste Gelegenheit zur Besichtigung von Doris Dörries Deutschland-Ost-Erkundung „Die Friseuse“ (nächste Woche im Kino, deshalb „nur“ „Berlinale-Special“). Außerdem hätte man zur „Metropolis“-Generalprobe in den Friedrichstadt-Palast fahren, beim „Forum“ und beim „Panorama“ Entdeckungen machen bzw. bei „My Name is Khan“ aus Indien weinen können. Der Nachmittag war mit Interviews ausgebucht. Parallel dazu haben sowohl der Kulturstaatsminister, als auch die Baden-Württembergische Filmförderung zur Verleihung ihrer jeweiligen Drehbuch-Preise eingeladen. Von den Interviews konnten die natürlich nichts wissen. Von der Terminfülle am Beginn eines großen Festivals allerdings schon. In den letzten Jahren fanden diese Veranstaltungen wohlweißlich in der stressfreieren zweiten Hälfte statt. Aber da ist Fasnacht im Ländle und die will zumindest der Stuttgarter Stadthalter in Berlin nicht versäumen, der seine Residenz an der Tiergartenstraße – erinnert entfernt an eine Sparkassen-Hauptgeschäftsstelle – für die Verleihung des „Thomas-Strittmatter-Preises“ traditionell zur Verfügung stellt und sich bei dieser Gelegenheit allerlei schwäbisch-badensische Filmprominenz zum eigenen Wohlgefallen ins Haus holt. Man hat sich deshalb nach des Ministers Terminplan zu richten – Berlinale hin oder her! Was sind der Bestseller-Autor Robert Harris, die Schauspieler Ewan McGregor und Pierce Brosnan, mitsamts ihrem indischen Kollegen Shah Rukh Khan gegen eine Begegnung mit dem leibhaftigen Prof. Dr. Wolfgang Reinhardt aus Tauberbischofsheim. Wie die fulminanten Englisch-Kenntnisse von Herrn Oettinger kürzlich wieder zeigten, fehlt es Baden-Württembergischen Politikern nicht an Selbstbewußtsein. Ich habe trotzdem Shah Rukh Khan Herrn Reinhardt vorgezogen, was natürlich höchst unpatriotisch gewesen ist…
Der Ghostwriter
Um die nicht neue Erkenntnis, das Politiker nicht selten Dreck am Stecken haben und Politik mitunter ein schmutziges Geschäft ist, geht es in „Der Ghostwriter“ von Roman Polanski. Die Regisseur musste aus den hinlänglich bekannten Gründen der Uraufführung seines neuen Films fern bleiben. Im Mittelpunkt steht einer, der sein Geld damit verdient, dass er für mehr oder weniger Prominenten die Memoiren schreibt. Einer von den anonymen Kanalarbeitern. So ist der „Ghostwriter“ in diesem Film auch namenlos. Eine Viertel Million soll er dafür bekommen, um die Aufzeichnungen des abgehalfterten englischen Premierministers Adam Lang in eine lesbare Form zu bringen. Sein Vorgänger als Langs Ghostwriter ist kürzlich ums Leben gekommen: Der neue Ghostwriter sitzt in Langs Domizil vor Long Island in der Falle, das wie ein Hochsicherheitstrakt bewacht wird. Dem naiven jungen Mann dämmert langsam, das mit seinem Auftraggeber etwas nicht stimmt:Dabei ist Langs Ur-Manuskript nicht nur schlecht geschrieben, sondern auch noch langweilig und ohne sichtbare politische Brisanz. Während der Ghostwriter verdrossen vor sich hin arbeitet, unwirtlich peitscht der Regen gegen Scheiben seines Büros, gerät Lang in die Schlagzeilen. Es sind Hinweise dafür aufgetaucht, das er während seiner Amtszeit Folter an irakischen Gefangenen gebilligt hat. Inzwischen weiß der Ghostwriter zuviel und gerät selbst ins Räderwerk der Politik. Abgründe tun sich auf, Adam Lang hat eine dunkle Vergangenheit und seine weiße Weste viele Flecken. Roman Polanski inszenierte den „Ghostwriter“ nach einem Bestseller von Robert Harris, der praktischer Weise auch gleich das Drehbuch geliefert hat. Der Autor schätzt mit einem ausgeprägten Hang zur Kolportage krude Verschwörungstheorien. So ist auch in „Ghost“ – so heißt die Romanvorlage (deutsch bei Heyne erschienen) der CIA nicht weit. Ebenso wie Harris nahm es Polanski mit der logischen Verortung der Geschichte nicht so genau. Nach dem Motto: was nicht passt, wird passend gemacht, bastelte er den „Ghostwriter“ grobschlächtig zusammen. Das würde man ihm noch verzeihen, der Regisseur ist eben nicht mehr der Jüngste, ebenso das es sich bei der Insel unübersehbar um Sylt und nicht die amerikanische Westküste handelt. Aber dieser Film ist außerdem elend langweilig – mit einem Typenarsenal, dass das Profil von Schießbudenfiguren hat. Angesichts dieses matten Abglanzes seiner einstigen Kunst hätte Roman Polanski auch ohne seine Kleinmädchenaffäre gut daran getan, daheim in seinem Schweizer Hausarrest in Gstaad zu bleiben und nicht die beschwerliche Reise nach Berlin auf sich zu nehmen.
Howl
Wesentlich spannender als Polanskis alterschwacher Politthriller erwies sich am frühen Morgen „Howl“ von Rob Epstein & Jeffrey Friedman. Die beiden Regisseure haben sich mit Dokumentarfilmen wie „The Times of Harvey Milk“(1984) und „The celluloid closet“ (1995) einen Namen gemacht. Diesmal mischten sie aufregend Spielfilm-und Animationsfilm-elemente zu einer Beschreibung der Lebenswelten des amerikanischen Poeten Allen Ginsburg, in den 1950er und 1960er Jahren einer der Weg-bereiter eines neuen dichterischen Ausdrucks. Im Mittelpunkt steht eines seiner wichtigsten Werke „Howl/Geheul“ und der Prozess wegen ange-bicher Obszönität. Hochinteressant im Inhaltlichen und innovativ in der Form…
Metropolis
Doch was ist das Alles gegenüber Fritz Langs „Metropolis“: ein unvergessliches Erlebnis am Abend im Friedrichstadtpalast. Zum ersten Mal mit den wieder entdeckten Teilen. Angesichts des desolaten Zu-stands des Fundstücks waren die Unterschiede zwischen ihnen und der bekannten restaurierten Fassung nicht zu übersehen. Es handelt sich dabei Teils um Details, aber auch um wichtige Szenen, die bisherige Leerstellen ausfüllen. Etwa die Banalität des Bösen betreffend, auf der sich das Machtsystem des Herrn über Metropolis gründet. Was bisher irritierend indifferent erschien, ist jetzt stimmig. Macht endgültig die Per-fektion dieses epochalen Films deutlich. Fritz Lang hat ihn derart voll-kommen ausbalanciert, das selbst kleinste Momente unverzichtbar für das große Ganze sind. Das zeigt sich besonders am Schluss mit dem Untergang von Metropolis. Eine verstörende Parabel auf die Moderne. Vergleichbar nur mit den großen Werken der Weltliteratur.
Zu „Metropolis“ gibt es nichts Vergleichbares. Vorzüglich natürlich zum ersten Mal ebenfalls nahezu komplett die Original-Komposition von Gottfried Huppertz. Makellos vom Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter der Leitung von Frank Strobel gespielt, dem gegenwärtig besten Dirigenten für Stummfilmmusik. Ein Ereignis von kulturgeschichtlicher Bedeutung!
Dazu ist eben im Belleville Verlag ein opulentes Buch erschienen: „Fritz Langs Metropolis“, Herausgegeben von der Deutschen Kinemathek (400 Seiten, Preis: 49.90€). Eine umfassende Darstellung der Produktions-und Rezeptionsgeschichte des Films. Fachleute beschreiben den mühsamen Weg zur Rekonstruktion und ihre bisherigen Grenzen. Immer noch fehlen Teile des Originals.