Wieder ein üppig gedeckter Tisch in Berlin: 400 Filme sind programmiert. Wesentlich weniger (16) im internationalen Wettbewerb um die Goldenen und Silbernen Bären. Gewissermassen die Premium-Auswahl des Chefs Dieter Kosslick. Dahinter die Programme von „Panorama“ und „Forum“ sowie diverser kleinerer Nebenreihen. Das Gros der 400 Filme wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit auf dem „Europäischen Filmmarkt“ in der vagen Hoffnung auf Käufer präsentiert.
Die Ambitionen des „Wettbewerbs“ sind wieder hoch. Spannend die Frage, wird Teheran Jafar Panahi diesmal nach Berlin reisen lassen, damit er seinen neuen Film „Parde“ persönlich vorstellen kann. Er konnte ihn realisieren (freilich mit einem Ko-Regisseur), obwohl über ihn ein 20jähriges Arbeitsverbot verhängt wurde.
Immerhin ein Zeichen, das Hoffnung macht. Kulturstaatsminister Bernd Neumann appelierte in seinem Grußwort zur „Berlinale“-Eröffnung an die Verantwortlichen im Iran, Panahi die Ausreise zu erlauben. Dieter Kosslick ist zuversichtlich, immerhin der Film liegt bereits im Tresor der Berlinale. Also weniger Comedie und mehr Ernst bei der Eröffnungs-Gala im Vergleich zu den letzten Jahren – trotz Anke Engelke. Das passte zum Eröffnungsfilm und seinem Macher, der in Personalunion Präsident der diesjährigen Jury ist.
Ein Glücksfall für die Berlinale 2013: Wong Kar Wai – einer der ganz Großen des gegenwärtigen Weltkinos – konnte nicht nur für die internationale Jury gewonnen werden, er brachte auch seinen neuen Film mit. „The Grandmaster“ hat heute Abend die Filmfestspiele eröffnet. Nach „Ashes of Time“ (1994) ist das der zweite Film des Regisseurs, der im Genre des Martial Art Films angesiedelt ist. Allerdings nicht in der Form, wie man es seit Bruce Lees Zeiten gewohnt ist.
Zwei Meister im chinesischen Kampfsport Kung Fu treffen sich zu einem Vergleichskampf in Foshan im Süden Chinas. Master Gong (Wang Quingxiang) ist mit Tochter (Ziyi Zhang) aus dem Norden angereist. Als Großmeister soll er bei diesem Event feierlich in den Ruhestand verabschiedet werden. Er begegnet dem örtlichen Champion Ip Man (Tony Leung).
Der wesentliche jüngere Ip Man hat sich seinen Ruf als exzellenter Kämpfer dadurch erworben, das er eine in Vergessenheit geratene Kung Fu-Variation „Wing Chun“ oder „Wing Tsun“ neu belebt hat. Im Gegensatz zum traditionellen Kung Fu ist die Besonderheit daran, die rein defensive Führung des Kampfes: d. h. die Gewalt des Angreifers wird abgeleitet bzw. ins Leere oder gegen ihn selbst umgeleitet, was ziemlich schmerzhafte Folgen hat.
„The Grandmaster“ beginnt 1935 und zeichnet die reale Biographie von Yip Kai Man nach, der als Erfinder des modernen Wing Chun und als Lehrmeister des Kung Fu-Stars Bruce Lee in die Geschichte eingegangen ist. Auch in Deutschland gibt es Wing Chun-Schulen, abgekürzt „WT“, inzwischen selbst auf den Dörfern.
Wong Kar Wai wäre nicht Wong Kar Wai und einer der kreativsten Filmemacher der Gegenwart, hätte er sich auf der bloße Nacherzählen der durchaus bewegten Biographie des Ip Man beschränkt. Er hat vielmehr die Philosophie des Wing Chun, Gewalt nicht mit Gegengewalt, sondern durch Unterlaufen der Gewalt zu beantworten, in den Kontext der Geschichte Chinas im 20. Jahrhundert gestellt.
Natürlich verzichtete der Regisseur dabei nicht auf virtuos choreographierte Kampfsequenzen. Sie werden aber in dem für Wong Kar Wai typischen Stil abstrahiert und in den Hintergrund gerückt.
Wesentlich ist ihm das letztliche Scheitern seines Helden an einer gewalttätigen Welt voller Krieg und Verrat, mit bedingter Hoffnung auf bessere Zeiten. Wong Kar-Wai hat seinen Film als aufregendes Fixierspiel mit der Frage angelegt, ob das Defensive im Sport wie im Leben eine Chance hat oder nur – wie Brecht sagt – Gewalt hilft wo Gewalt herrscht.
Einen besseren Film zum Auftakt der „63. Berliner Filmfestspielen“ konnte es nicht geben. „The Grandmaster“ kommt im Frühsommer auch in die deutschen Kinos!