Österreich 1992-2007
6 DVDs
Laufzeit: ca 630 Min.
Anbieter: Alamode-Film
International bekannt wurde Ulrich Seidl 1995 mit „Tierische Liebe“: ein Dokumentarfilm über Menschen, die zu Haustieren eine ans Pathologische grenzende Beziehung haben. Als Ersatzobjekte für emotionale Defizite herhalten müssen. Nicht nur Hunde und Katzen, selbst ein Gold-hamster wird für den Besitzer zum Liebesobjekt in einer als kalt und lieblos erlebten Welt.
Seidl beobachtet seine Protagonisten in langen, emotionslosen Enstellungen. Läßt sie reden und zeigt sie im Umgang mit ihren Lieblingen. Dabei berührt er kalkuliert Tabus, in dem er das ganze Elend dieser Welt gnadenlos illustrierte. Dabei verwischen sich die Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion. Das hat Seidl den Vorwurf eingebracht, er beute seine Protagonisten aus.
Bei näherem Hinsehen zeigt sich gerade bei „Tierische Liebe“ die wahre Absicht des Regisseurs. Die bestürzende filmische Analyse der ge-sellschaftlichen Verhältnisse in Mitteleuropa: „TIERISCHE LIEBE ist eine radikale Darstellung der Einsamkeit und der Sehnsucht nach Liebe“, schrieb einmal der Österreichische Schriftsteller Gerhard Roth.
1997 drehte Ulrich Seidl „Der Busenfreund“, eine einstündige Dokumentation für das Fernsehen. Sie wird innerhalb dieser Werkausgabe des Regisseurs zum ersten Mal auf DVD veröffentlicht. Der Busenfreund heißt René Rupnik. Nicht mehr der Jüngste, lebt er mit seiner greisen Mutter in einer Wiener Stadtwohnung. Frauen scheinen für ihn unerreichbare Objekte der Begierde. In einer bizarren Art der Frustbewältigung konzentriert sich der studierte Mathematiker akribisch auf die Vermessung weiblicher Brüste.
Auch bei diesem Film camourfliert Ulrich Seidl zwischen sachlicher Dokumentation und inszeniertem Spielfilm, um das Wesen einer Persönlichkeit zu offenbaren, die sich aus der Gesellschaft verabschiedet hat.
Einem weitern gesellschaftlichen Ausnahmezustand widmete sich Ulrich Seidl 1998 mit „Models“: drei Models spielen sich hier selbst. In einer Welt des schönen Scheins, deren Alltag sich knapp am Abgrund abspielt. Das Elend am Rande des Laufstegs. Dabei macht Seidl diesmal mit seinem analytischen Kamerablick deutlich, welch leichtverderbliches Gut Schönheit ist.
Von der Exotik des falschen Scheins in die Niederungen des alltäglichen Frustes in einer niederöstereichischen Vorortsiedlung: Wer es hier zu einem Einfamilien-Haus gebracht hat, könnte eigentlich stolz sein. Aber von Glück und Zufriedenheit ist in „Hundstage“ wenig zu merken. Seidls drehte diesen Film im Jahr 2001.
Er ging damit einen weiteren Schritt vom Dokumentar- zum Spielfilm: August, Ferienzeit. Doch die Hitze macht zu schaffen. In sechs in einander verwobenen Handlungssträngen beschreibt die Erosion so genannter Normalität in der Langeweile, Gewalt und Überdruss herrschen. In schmerzhaft hellen, präzisen oder im Halbdunkel aufgenommenen Bildern zeigt Seidl in „Hundstage“ das Leben von seiner dumpfen Seite. Wobei diesmal Profi-Schauspieler wie Georg Friedrich und Maria Hofstätter zusammen mit Laien darstellerische Meisterleistungen abliefern.
Virtuos reflektierte Ulrich Seidl in „Hundstage“ sein Generalthema Einsamkeit. In ihrer Vereinzelung und seelischen Deformation erleben die Protagonisten ihre Mitmenschen vor allem als Gegner. Dabei geht es den Männern noch dreckiger als den Frauen. In ihrem Macho-Gehabe geraten sie in die Aggressionsfalle, aus der sie keinen Ausweg finden. „Hundstage“ wurde 2003 mit dem „Grossen Preis der Jury der Filmfestspiele Venedig“ ausgezeichnet.
Nach der Hitze in „Hundstage“, ist es in Seidls nächstem Film „Import Export“ der Winter und die Kälte, die die Seelenlandschaften spiegeln: Nach einem bis in kleinste Details ausgearbeiteten Drehbuch ließ Seidl erneut Profis und Laien vor dokumentarischer Kulisse agieren. Olga kommt aus der Ukraine nach Österreich, um Geld zu verdienen. Die gelernte Krankenschwester arbeitet in einem Altersheim, dessen trostloser Alltag Seidl ins Groteske überhöhte.
Auf einer zweiten Handlungsebene spielt Pauli die Hauptrolle. Er ist ambitionierter Kampfsportler. Da wäre der Job als Wachmann für ihn genau das Richtige. Doch Pauli scheitert kläglich bereits während der ersten Nachtschicht. Also nimmt ihn sein auch nicht besonders erfolgreicher Vater unter seine Fittiche. In der Ukraine sollen im Westen ausgediente Spielautomaten aufgestellt werden. Dabei kreuzen sich die Wege von Olga und Pauli… Import Export ist Ulrich Seidls filmischer Beitrag zum ost-westlichen Dienstleistungsgefälle.
Damit hat sich Ulrich Seidl bereits in seinem frühen Dokumentarfilm „Mit Verlust ist zu rechnen“ von 1962 beschäftigt: Der Witwer Sepp Paur sucht auf seine alten Tage nach einer neuen Lebensgefährtin. Die sind in seinem kleinen österreichischen Heimatdorf schwer zu finden. Deshalb sieht sich Sepp im benachbarten Tschechien um und zwar im wahrsten Sinne des Wortes – mit dem Feldstecher. Er hatte da auch schon jemanden ausgemacht, der zu ihm passen würde. In der äußeren Form ein Dokumentarfilm im Inneren ein weiteres Kammerspiel über die tragikomischen Versuche, der Einsamkeit zu entgehen. Ein Schlüsselwerk im Oevre des Ulrich Seidl. Seine wichtigsten sechs Filme auf DVD von Alamode. Im Bonusteil u. a. Seidls Kurzfilm „Der Ball“ von 1992. Preis der „Ulrich Seidl Edition“ ca. 50€. Einzeln kosten die Filme zwischen 9 und 12 €.
Dazu die Sendung: SWRcont.ra DVD-Tipp vom 22.05.2010 um 19.20 Uhr:
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