Es gibt nicht wenige Filme, die als Meilensteine in der Geschichte dieses Mediums gelten. Aber nur wenige Filmhistoriker kennen die raren Werke aus eigener Anschauung. Auch die Anbieter von DVDs haben sich bei der Ver-öffentlichung solcher Filme, vor allem aus der Stummfilmzeit, in der Vergangenheit zurück gehalten. Das Käuferinteresse, d. h. der Markt dafür, ist begrenzt. Wenn sich denn einer traute, dann rangierten die Veröffentlichungen im Hochpreisbereich. Umso erfreulicher ist, dass die Süddeutsche Zeitung in ihrer angesehenen „Cinemathek“ zehn Schlüsselfilme der 1920er Jahre in einer „Stummfilm-Reihe“ auf DVD veröffentlicht hat. Neben Klassikern von Ernst Lubitsch, Friedrich Wilhelm Murnau, die bereits seit längerem zur Verfügung stehen, enthält die Edition vier DVD-Premieren. Darunter – als Höhepunkt – der gesamten Reihe Fritz Langs „Nibelungen“ von 1924.
Zwar war die Restaurierung von Fritz Langs „Nibelungen“-Zweiteiler nicht derart kompliziert wie bei „Metropolis“, aber es dauerte trotzdem lange, bis der Film 2010 in seiner ursprünglichen Form wieder hergestellt werden konnte. Während der Rechteinhaber, die Friedrich Wilhelm Murnau Stiftung, bei „Metropolis“ für eine edle DVD-Edition mit üppigem Bonusteil sorgte, ist die „Nibelungen“-Veröffentlichung schlichter ausgefallen. Sie kam vermutlich ohnehin nur durch das Engagement und den Erfolg mit dem DVD-„Nebengeschäft“ der Süddeutschen Zeitung zu Stande.
„Die Nibelungen“ war das große Fantasy-Prestige-Projekt der Epoche, für ein paar Jahre triumphierte damals Babelsberg über Hollywood, was die Ressourcen anging, dieTechniker und den reichen Fundus kultureller und geschichtlicher Tradition, den Fritz Lang verschwenderisch einsetzte, von der Romantik bis zum Art Déco.“ Das schreibt der SZ-Filmkritiker Fritz Göttler in seiner Würdigung der „Nibelungen“ im Klappentext der 2-Disc-Edition.
Dank der makellos gelungenen Restaurierung, präsentierten sich Fritz Langs „Nibelungen“ unverfälscht als Meisterwerk der Neuen Sachlichkeit, das den Stoff vom Ballast der Deutschtümelei befreit hat. Langs stilisierende Regie in Verbindung mit Kostümen und Dekor, die vom Wiener Jugendstil inspiriert wurden, machen aus dem monumentalen Werk eine zeitlose Parabel über Macht und Ohnmacht.
Selbst dramaturgisch heikle Momente wie Siegfrieds Kampf mit dem Drachen haben eine berührend tragische Dimension. Also nichts von der Lächerlichkeit späterer Monsterfilme.
Wesentlichen Anteil an der ungebrochenen Wirkung der „Nibelungen“ hat die ebenfalls in den letzten Jahren rekonstruierte Originalmusik von Gottfried Huppertz, die vom HR Sinfonieorchester unter der Leitung von Frank Strobel eingespielt wurde. Strobel ist der gegenwärtig profilierteste Interpret von Stummfilmmusiken.
Eine besondere Rarität der Filmgeschichte präsentiert die „Süddeutsche Zeitung Cinemathek“ mit „Why change your Wife?/Irrwege einer Ehe“ von Cecil B. DeMille aus dem Jahr 1920. Der Regisseur gehörte bis in die 1950er Jahre zu den erfolgreichsten Filmemacher Hollywood. Sein Markenzeichen waren monumentale Historienfilme. Häufig mit religiösen Inhalten. Am be-kanntesten sind DeMilles „Zehn Gebote“. Den erbaulichen Stoff hat er gleich zweimal verfilmt: 1923 und 1956. Aber auch im Western und im Piratenfilm-Genre war Cecil B. DeMille zu Hause. Bei den Vorbereitungen zu einem Remake seiner „Cleopatra“ ist er 1959 im Alter von 78 Jahren gestorben. Der von einem anderen Regisseur realisierte „Cleopatra“ mit Liz Taylor in der Titelrolle wurde einer der größten Flops der Filmgeschichte.
„Why change your Wife?/Irrwege einer Ehe“ gehört zu einer Trilogie DeMilles, die sich mit dem Thema Ehe und Scheidung beschäftigt. Sie haben als „Bett-und Badezimmerromanzen“ nicht nur das damalige Publikum, sondern auch die Zensur beschäftigt. Nicht nur in Amerika: Auch die deutsche Zensur hat die Aufführung von „Irrwege einer Ehe“ verboten.
Und darum geht es in „Irrwege einer Ehe“, dem Mittelteil von DeMilles „Scheidungs-Trilogie“: Der wohlhabende Geschäftsmann Robert leidet unter seiner dauerfrustrierten Gattin Beth. Sie ist pingelig und prüde – kurz kleinkariert. Um die verkrampfte Beziehung aufzulockern, bringt Robert Beth bei Gelegenheit ein schickes Ballkleid mit. Beth ist entsetzt: sie findet das Kleid untragbar freizügig. Den enttäuschten Gatten treibt sie damit in die Arme eines Mannequins, die alles nicht so eng sieht..
Eine Scheidung lässt sich nicht vermeiden. Kokett mischt DeMille Komisches und Tragisches, Menschliches und allzu menschliches in “Irrwege einer Ehe“ mit einem Hauch von Frivolität. Die Rolle der Beth machte die Schauspielerin Gloria Swanson zu einem Superstar der 1920er Jahre. In seinem Abgesang auf das Hollywood der „Goldenen 20er“ „Boulevard der Dämmerung“ hat Billy Wilder 1950 Swanson und DeMille noch einmal vor die Kamera geholt.
Während Gloria Swanson Stern mit dem Tonfilm ohnehin sank, bekam sie von einem deutschen Import aus Übersee heftige Konkurrenz, der sie sich schließlich geschlagen geben muss. Der neue Vamp hieß Marlene Dietrich! „Der blaue Engel“ hat ihr zwar die Türen nach Hollywood geöffnet, aber ihre Karriere beginnt im deutschen Stummfilm.
Vor dem „Blauen Engel“ hat Marlene Dietrich bereits in 15 Produktionen mehr oder weniger große Rollen gespielt. Ihr persönliches Image der rätselhaften, tragischen, aber auch gefährlichen Schönen verdankt die Dietrich nicht wie meistens angenommen wird, Josef von Sternberg, dem Regisseur des „Blauen Engels“, sondern Kurt Bernhardt, mit dem sie 1929 „Die Frau, nach der man sich sehnt“ dreht, einem der letzten deutschen Stummfilme. Ihr Partner ist Fritz Kortner.
In „Die Frau, nach der man sich sehnt“ verkörpert Marlene Dietrich Stascha, eine geheimnisvolle Frau, die in das Leben eines Industriellen einbricht, der kurz vor der Pleite steht. Anstatt sich um die Sanierung seiner Firma zu kümmern, will der verliebte Mann mit der blonden Schönen zu neuen Ufern aufbrechen. Doch da holen die Schatten der Vergangenheit die Stascha ein.
„Die Frau, nach der man sich sehnt“ ist ein klassisches Melodram, wie es im Buche steht und deshalb auch Filmgeschichte machte. Das war das Metier von Regisseur Kurt Bernhardt. Geboren in Worms, beginnt er seine Karriere zunächst am Heidelberger Theater, bis er ab 1924 zum vielbeschäftigen Regisseur wird. Als Juden haben ihn die Nazis 1933 aus Deutschland vertrieben. Als Curtis Bernhardt gelang es ihm als einer der wenigen Emigranten seine Karriere nahtlos fortzusetzen und sich in der ersten Reihe der Hollywood-Regisseure zu etablieren.
Stummfilmentdeckungen aus der Reihe „Cinemathek“ der Süddeutschen Zeitung:
Die DVD –Premieren „Die Nibelungen“, „Irrwege einer Ehe“, „Die Frau, nach der man sich sehnt“ kosten jeweils rund 13 Euro.