Fast 1000 Filme in zehn Tagen überfordern selbst den Hardcore-Cineasten! Also muss sich der Berlinale-Besucher damit abfinden, nur einen Bruchteil davon zu besichtigen: Bereits die Hauptsektionen der „Wettbewerb“ um die Goldenen und Silbernen Bären, das „Panorama“ oder das „Form“ lassen nur ein Minimum an Schlaf und eine drastisch reduzierte Nahrungsaufnahme zu.
Die Frustrationstoleranz und der Mut zur Lücke werden im Übrigen nicht nur in Berlin, sondern auch bei ähnlichen Veranstaltungen in Cannes, Locarno oder Venedig auf eine harte Probe gestellt. Die Resignation und die Entscheidung liegen nahe, auf das Kinogehen ganz zverzichtet und sich stattdessen der Party-Szene zu wendet: sie erlaubt es, die Filmfestspiele über die Runden zu bringen, ohne auch nur einen einzigen Film zu sehen.
Da sind zwar in der Regel Einladungen nötig: wer aber gesteigerten Wert darauf gelegt, findet Mittel und Wege, auf die Gästelisten zu kommen.
Wem ein Brunch bei einer Landesförderanstalt zu poplig und zu früh am Tage ist, richtet sein Augenmerk auf die großen Premieren-Parties der amerikanischen Majors. Die finden meisten in angesagten Etablissements wie dem „Adlon“ weit nach Mitternacht statt. Nachdem man auch bei den Reichen und Schönen sparen muss, sind die Buffets da in letzter Zeit spärlicher und das Champus billiger geworden. Außerdem ist es da meistens laut, voll und insgesamt gähnend langweilig. So bleibt einem auch bei der Party-Planung die Auswahl nicht erspart.
Da versprach zum Beispiel eine Einladung der Stuttgart „Los Bandidos“-Filmproduktion zu ihrer jährlichen Berlinale-Party interessant zu werden: „Los Bandidos“ ist nicht nur ein Firmenname, sondern Programm! In einem Hotel mit dem interessanten Namen „Nhow“ sollte die neueste „Los Bandidos“-Produktion „Sex Dogz and Rock N’Roll“ vorgestellt werden. In Anwesenheit der als „Bandidos“ einschlägig bekannten Hauptdarsteller Martin Semmelrogge, Claude-Oliver Rudolph, Uwe Fellensiek und Ralf Richter.
Angesichts der meisten Party-Gäste hätte man annehmen können, auf die Jahreshauptversammlung der Berliner Türsteher geraten zu sein. Es dominierten nämlich die Herren mit den etwas zu großen Bizepts unterm Jackett und der etwas zu tiefen Solariumbräune. Die Damen an ihrer Seite bestanden vor allem aus Beinen, gewagter Garderobe und somnambul umflortem Blick unter dem eindrucksvollen Make up: allesamt wohl Enkelinnen des Mädchens Rosemarie. Uwe Boll, der dazu nicht schlecht gepasst hätte, stand zwar auf der Gästeliste, drückte sich dann aber. Wo man sich doch so gerne mit ihm über seinen „Auschwitz“-Film unterhalten hätte. Der Mann schreckt doch sonst vor nichts zurück. In Amerika lud er despektierliche Kritiker in den Boxring, Dieter Kosslick nur vor den Kadi: er hat sich geweigert Bolls KZ-Epos auf der Berlinale zu zeigen. Also hinaus in die kalte Berliner Winternacht…
Eine Alternative in dieser Nacht bot nicht nur die strengere Party die Filmstiftung NRW in der Berliner Landesvertretung NRW mit seriöseren, aber ebenfalls häufig karibisch braun gebrannten Gästen, sondern ein Ausflug zu später Stunde durch die angesagten Clubs der Bundeshauptstadt. Da soll eine gewisse Chance bestanden haben, Madonna leibhaftig zu begegnen. Aber das waren nur ein Gerücht: mit 52 auch nicht mehr die Taufrischeste, lag die Diva vermutlich längst in ihrem Haijabettchen im Riz-Carlton: Die 14 500 Euro pro Nacht müssen sich ja schließlich lohnen. Fazit: also doch lieber ins Kino!