Vater O’Hara säuft, prügelt seine depressive Frau und verstört seine beiden halbwüchsigen Töchter; Dr. Velten aus Wetzlar verheddert sich in seinen Gefühlen und Ambitionen im afrikanischen Busch; Opa Hüsseyin bringt seine Familie an den Rand des Nervenzusammenbruchs, als er nach 40 Jahren gelungener Integration in die deutsche Gesellschaft auf seine alten Tage in Ostanatolien ein Haus bauen will. Das in Anlaß für die Komödie „Almanya – Willkommen in Deutschland. Bei den beiden Filmen „Yelling to the sky“ und „Schlafkrankheit“ gibt es nichts zu lachen – da wird Kino zur moralischen Anstalt und – zur harten Arbeit.
Mit „Yelling to the sky“ hat die amerikanische Nachwuchs-Regisseurin aus autobiographischer Betroffenheit heraus gedreht. Der Leidensdruck ist in jeder Einstellung nicht zu übersehen. Mit der 16jährigen Sweetness hat sie sich ein alter ego geschaffen. Beide haben sie einen weißen Vater und eine angloamerikanische Mutter. Das heißt, am Rande der Gesellschaft zwischen den Stühlen zu sitzen.
Die schwierige Lage glaubt man der Regisseurin aufs Wort. Mit fahriger digitaler Kamera taucht Victoria Mahoney in die Abgründe des „mixed race trash“ ein: Vater sabbert über sein schmuddeliges Feinrippunterhemd, Mutter blicket stumm, die Mädchen laufen aus dem Ruder. Drogen sind nah, das Dealen auch. Doch dann kommt alles anders: der Vadder reißt sich ebenso zusammen wie Sweetness: Abspann! O Gott!
Das war gegen Mitternacht. Am nächsten Morgen um Neun ging es weiter mit „Schlafkrankeit“ von Ulrich Köhler. Mit seinen Vor-gängerfilmen „Bungalow“ und „Am Montag kommen die Fenster“ hatte sich der Berliner Regisseur mit den Fährnissen der modernen Kleinfamilie beschäftigt und es damit ins „Panorama“ bzw. das „Forum“ der Berlinale geschafft.
Mit „Schlafkrankheit“ hat es ihn ins ferne Kamerun getrieben. Die beschwerliche Reise wurde mit einem Platz im „Wettbewerb“ um die Goldenen und Silbernen Bären belohnt. Ob Köhler damit glücklich wird ist angesichts der vielen Buhs heute Morgen bei der Pressevorführung allerdings zweifelhaft.
Am Anfang steht auch diesmal wieder eine Kleinfamilie. Frau und Tochter Velten treibt es aus der Entwicklungsarbeit in Afrika heim nach Wetzlar. Papa bleibt. Nicht nur Land und Leute wegen, sondern einer negroiden Schönen. Die bekommt ein Kind von Ebbo, einem eher unsympathischen Typ.
Da reist als Abgesesannter der WHO Alex Nzila zum bescheiden Krankhaus des Dr. Velten. Nzila. Franzose mit kongolesischem Hintergrund. Ein studierter Mediziner zwar, aber in der klinischen Praxis ungeübt. Das zeigt sich als er der Geliebten seines Kollegen Velten per Kaiserschnitt bei der Geburt ihres Kindes behilflich sein soll: ihm wird schlecht!
Wir lernen, dass theoretisches Handeln in Afrika kontraproduktiv ist. Außerdem, dass es auf dem Schwarzen Kontinent nächtens völlig dunkel ist und sich deshalb das ständige Mitführen einer Taschenlampe empfiehlt. Auch bei „Schlafkrankheit“ löst sich der dünne Faden der Handlung irgendwann in Wohlgefallen auf: Abspann! Man sitzt im Dunkeln des Berlinale-Palastes und denkt: Nomen est omen…. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass der Film zur falschen Zeit am falschen Ort präsentiert wurde – vom Betrachter mehr Konzentration und Einfühlungsvermögen fordert, als Mammutveranstaltungen wie die Berlinale zu lassen. Man wird sich der „Schlafkrankheit“ noch einmal in Ruhe widmen müssen.
Da geht es bei „Almanya – Willkommen in Deutschland“ munterer zu: die Schwestern Yasemin (Regie) und Nesrin Samdereli (Drehbuch) schüpften zwar auch aus ihrer Familiengeschichte, aber ohne den Blick im Zorn:
Die Yilmaz sind eine Durchschnittsfamilie, für die die Türkei fern und die Bundesrepublik das Heimatland ist. Zumindest für die zweite und dritte Generation. Mit leichter Hand schildert der Film den (unspektakulären) Prozess der Integration. Aber es bleibt doch die Frage: was sind wir eigentlich. Sie wird auf besonders charmante Weise beantwortet. Es ist nicht zu übersehen, dass alle Beteiligten daran großen Spaß hatten. Wobei der Zwiespalt zwischen Heimat und Heimatlosigkeit nicht der Lächerlichkeit preis gegeben wird. Das macht „Almanya – Willkommen in Deutschland“ wesentlicher als Trostlosfilme wie z.B. Feo Aladags „Die Fremde“. Also am Ende des Tages doch noch ein Hoffnungsschimmer am Berlinale-Himmel!
A propos Himmel: Madonna soll in der Stadt sein und die Gala-Vorführung von „Almanya – Willkommen in Deutschland“ besuchen. Es ist schon möglich, dass sie den Titel auf sich bezogen hat. Vor ihrem eigenen neuen Film „W.E.“ gibt es nur drei Minuten zu sehen und das ist nicht abendfüllend. Gerüchte wollen auch wissen, das die Diva auch bei der „Almanya“-Premieren-Party auf-tauchen soll. Keine schlechte Idee, da kann sie nette Leute kennen lernen…