Theater Rampe Stuttgart
Konzeption/Regie/Darsteller: Stephan Bruckmeier
Deutsche Premiere: 1. Juni 2010
Über die Umstände seiner Flucht aus Deutschland ist viel spekuliert worden. Zur Legendenbildung hat Fritz Lang selbst beigetragen. Zum Beispiel berichtete er nach 1945 mehrfach von einem Vier-Augen-Gespräch mit Josef Goebbels, der ihm die Führerschaft des Deutschen Films angeboten haben soll. Dafür fanden Filmhistoriker keinen Beleg gefunden. Feststeht, das Lang am Abend des 30. März 1933 nach Paris gereist ist. Gestern Abend hatte das Einpersonen-Stück „Fritz Lang – Die Entscheidung“ von und mit Stephan Bruckmeier im Stuttgarter Theater „Rampe“ seine deutsche Premiere. Die Uraufführung der mehrsprachigen internationalen Ko-Produktion hat im vergangenen November in Französisch in Paris stattgefunden. Die englische Fassung wird Ende 2010 in Nairobi präsentiert.
31. März 1933: Der berühmte Filmregisseur Fritz Lang im Wartesaal des Gard du Nord in Paris. Er hat Deutschland verlassen. Es besteht kein Zweifel daran, dass die neuen Machthaber über Leichen gehen werden, um ihre politische Ziele durchzusetzen. Propaganda-Minister Goebbels hatte das vor der versammelten Filmprominenz im Hotel Kaiserhof noch einmal unmissverständlich klar gemacht. Vor diesem historisch belegten Hintergrund hat Stephan Bruckmeier sein Theaterstück angelegt. Ein fiktiver Monolog über Fritz Lang und seine Entscheidung, Nazi-Deutschland zu verlassen.
Der Wiener Schauspieler und Regisseur Stephan Bruckmeier hat sich durch Inszenierungen jenseits des Üblichen einen Namen gemacht. Grundlage seines Fritz Lang-Monologs ist der dokumentarische Roman „Ich werde sie jagen bis ans Ende der Welt – Fritz Langs Abschied von Berlin“ der französischen Autorin Agnes Michaux (deutsch im Europa-Verlag erschienen).
Auf einer nahezu leeren Bühne in einem stilisierten Fritz Lang–Outfit mit Augenklappe gibt Stephan Bruckmeier die eindrucksvolle Performance eines Menschen, der sich die existentielle Frage beantworten muß: bleiben oder gehen. Fritz Lang ist dafür besonders geeignet. Er war sich über den Ungeist des nationalsozialistischen Regimes im Klaren. Das ist durch zahllose Interviews belegt. Gleichzeitig wusste er, dass Hitler und Goebbels sein Filme schätzten – vor allem „Die Nibelungen“ und „Metropolis“. Beispielsweise dienten Bauten in diesem Film Albert Speer als Vorlage für die Pläne für die Neue Reichskanzlei.
Lang hatte keinen existentiellen Grund zur Emigration. Für ihn war es eine Frage der Moral: Klug benutzte Stephan Bruckmeier einen fiktiven Dialog zwischen Josef Goebbels und Fritz Lang aus Michauxs Roman, um die Verführungversuche durch das NS-Regime und die Ambivalenz des Umworbenen zu verdeutlichen.
Besonders spannend wird das Stück durch eine raffinierte Collage aus Fritz Langs Film „Das Testament des Dr. Mabuse“, die an die Rückwand der Bühne projiziert wird. Bruckmeier hat hier mit den beiden Stuttgarter Filmemacherinnen Sigrun Köhler und Wiltrud Baier zusammen gearbeitet. Während Videos im Theater häufig etwas Beliebiges haben, geben Köhler und Baier „Fritz Lang – Die Entscheidung“ durch die Mabuse-Sequenzen eine zusätzliche dramaturgische Dimension.
Der Zuschauer erlebt nicht nur eine bewundernswerte Hommage an die einzigartige Persönlichkeit des Menschen und Regisseurs Lang, sondern eine grundsätzliche Reflektion über moralische Integrität in einem totalitären Regime. Ein spannender Brückenschlag zwischen Literatur, Theater und Film!
Beitrag von Herbert Spaich über „Fritz Lang – Die Entscheidung“ in SWR2 Journal am Mittag vom 2. Juni 2010:
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