Der vom Südwestrundfunk, der Medien-und Filmgesellschaft Baden-Württemberg und dem „Haus des Dokumentarfilms“, Stuttgart gestiftete „Deutsche Dokumentarfilm-Preis“ ist neben dem „Deutschen Filmpreis/Dokumentarfilm“ die wichtigste Auszeichnung für dieses Genre in der Bundesrepublik und mit 20 000 Euro vergleichsweise üppig dotiert. Die Auszeichnung 2011 wurde gestern Abend in Ludwigsburg verliehen – im Rahmen des jährlich im Mai stattfindenden Branchentreffs „Dokville“, der vom „Haus des Dokumentarfilms“ ausgerichtet wird.
Für den diesjährigen Preisträger Wim Wenders spendete das vorwiegend aus Branchenan-gehörigen bestehende Auditorium nur dünnen Applaus. Das hatte nichts mit der künstlerischen Reputation des Regisseurs und schon gar nicht mit seinem Ausnahmefilm „Pina“ zu tun, der durch den innovativen Einsatz der 3D-Technik dem Dokumentarfilm eine neue Dimension erschlossen hat. Es war der Ausdruck allgemeinen Unbehagens am Procedere der Preisverleihung…. Der absolute Ausnahmecharakter dieses Meisterwerks hätte von denPreis-Stiftern und der von ihr bestellten Jury eine ähnliche Kreativität erfordert, wie sie der Filmemacher Wenders bei der Inszenierung seines Films bewiesen hat. So wiederholte sich gestern Abend in der noblen Ludwigsburger „Musikhalle“ jenes merkwürdige Gefühl, das Äpfel mit Birnen bzw. Orchideen mit Schlüsselblumen verglichen wurden, das bereits bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises an „Pina“ als bestem Dokumentarfilm allgemeines Stirnrunzeln auslöste. Da hatte im wahrsten Sinne des Wortes „unvergleichliche“ „Kingshasa Symphonie“ das Nachsehen.
Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Wim Wenders hat mit „Pina“, als einem der besten Filme seiner über 40jährigen Karriere, jeden Preis dieser Welt verdient. Aber: einen der dem unvergleichlichen Werk angemessen ist. So musste er sich in Ludwigsburg wie ein Paradiesvogel bei einem Familienfest der armen Verwandtschaft vorkommen bzw. als medienwirksamer“Star“-Gast der Veranstalter.
Festivalmacher zwischen Cannes und Sundance zeichnen solche Arbeiten mit einem „Spezialpreis der Jury“ oder Ähnlichem aus. Das hätte man sich auch in diesem Fall gewünscht!
Seit der Uraufführung von „Pina“ bei den diesjährigen Berliner Filmfestspielen haben den Film in der Bundesrepublik knapp eine halbe Million Besucher gesehen. In Frankreich allein in den letzten sechs Wochen rund 300 000. Neben dem künstlerischen, also auch ein kommerzieller Erfolg.
Die Jury des diesjährigen „Deutschen Dokumentarfilmpreis“ – zu der unter anderem auch Andres Veiel gehörte – konnte in den gegebenen Umständen nicht umhin den Ausnahmeregisseur Wim Wenders und seine Ausnahmefilm „Pina“ auszuzeichnen, der bereits jetzt ein Stück Filmgeschichte ist.
Wim Wenders ist lange genug in der Filmbranche, um die Signale aus dem Saal gestern Abend wohl zu deuten: In seiner Dankesrede würdigte er deshalb besonders nachhaltig die Verdienste seiner Mitbewerber und die schwierige Markt-Lage des Dokumentarfilms im Lande. Diese Woche ist übrigens der schöne „Pina“-Soundtrack auf einem eigens von Wim Wenders gegründeten Label auf CD erschienen.
Mit Wenders Erfolg können die anderen neun in diesem Jahr nominierten Dokumentarfilme aus den letzten zwei Jahren nicht mithalten (siehe: www.dokumentarfilm.info). Obwohl die meisten ebenfalls bereits Meriten erworben haben, führten ihre Filme – wenn überhaupt – in der Kinolandschaft nur ein Schattendasein. Glücklich derjenige, wenn er 10 000 Besucher mobilisieren konnte.
Etwa „Die Frau mit den 5 Elefanten“ von Vadim Jendreyko oder „Neukölln Unlimited“, das hinreißende Plädoyer für eine multikulturelle Gesellschaft von Dietmar Rasch und Agostino Imondi. Den Preis der Stadt Ludwigsburg – 2000 Euro dotiert – konnte immerhin Philip Scheffner für seinen „Tag der Spatzen“ mit nach Hause nehmen.
Damit hat Philip Scheffner einen listigen und in seiner unkonventionellen Art besonders entlarvenden Film über das angeknackste Selbstverständnis der Bundeswehr gedreht. Das unbequeme Werk hat keinen Verleih gefunden und wird deshalb nach einigen Festivalauf-tritten wohl nur die begrenzte Öffentlichkeit des Spätprogramms im ZDF erreichen.
In einer edlen DVD-Edition kam dagegen „How to make a book with Steidl“ von Jörg Adolph und Gereon Wetzel unter die Leute, den diesjährigen „Förderpreisträger“ des Stuttgarter Hauses des Dokumentarfilms. Dafür gibt es 3000 Euro. Für das originelle Portrait des Verlegers Gerhard Steidl. Der Film wurde von Steidl kofinanziert und vermarktet. Auch eine Möglichkeit, in Deutschland einen Dokumentarfilm zu machen. Insofern ist der „Deutsche Dokumentarfilm-Preis“ immer ein Schaufenster der ganzen, aufregenden Bandbreite des Genres in diesem Lande: Das macht seine Bedeutung aus!
Die diesjährige „Dokville“-Verstanstaltung steht unter dem Motto „Dokumentarfilm der Zukunft. Zukunft des Dokumentarfilms“. Bei aller Skepsis kam Andres Veiel, der Grenzgänger zwischen Dokumentar-und fiktionalen Film, in seinem Grundsatzreferat „Visionen 2011 – Die künftigen 20 Jahre“ zu einem verhalten optimistischen Fazit: die formale und inhaltliche Kreativität kann in Verbindung mit neuen Vermarktungsstrategien durchaus zu einer nicht nur künst-lerischen, sondern auch kommerziellen Stabilisierung des Dokumentarfilmes führen. Dabei mahnte er das Engagement der Öffentlich-Rechtlichen Rundfunkanstalten an – das mancherorts schwächelt. O-Ton Veiel: „Das Genre wird als kulturelles Gedächtnis immer wichtiger werden!“ Da sei den ARD/ZDF-Verantwortlichen ins Stammbuch geschrieben.
Spannende Perspektiven bot vor diesem Hintergrund das „Dokville“-Panel „Video on Demand – Viel Hoffnung, wenig Nutzer“. Zumindest im Moment. Frohen Herzens von Erfolgen konnte da nur Antoine Schmidt-Roy, der Leiter Online Media der NDR-Tochter „Studio Hamburg“ berichten. Mit Natur-Dokumentationen kann man im Moment schon gute Online-Geschäfte machen. Jenseits von Flora und Fauna u. a. an deutschen Küsten, muss sich der engagierte Dokumentarfilm aber noch ziemlich abmühen. Immerhin auf innovative Ansätzen verwies der Produzent Cay Wesnigk („Kinder, Kader, Kommandeure“) aus den Erfahrungen mit seiner Internet-Plattform “onlinefilm“. Sie eröffnet vielseitig sowohl dem Macher als dem Nutzer neuen Ufer. Es besteht also begründete Hoffnung, dass die Dokumentarfilm-Renaissance nicht an Unterfinanzierung, einem gnadenlosen Markt und der Ignoranz der Ämter in manchen Fernsehredaktionen zu Grunde gehen wird!
Weitere Infos unter: www.dokville.de
Nur so zur Info:
„Der Tag des Spatzen“ hat einen Verleih der den Film auch von Anfang an betreut und in die Kinos gebracht hat. Kinostart war am 22.04.2010
Verleih:ArsenalDistribution
Eigentlich auch ziemlich leicht recherchierbar auf der Filmwebsite:
Richtig! Ist mir entgangen! Pardon! Hoffen wir, das Arsenal Berlin mit den „Spatzen“ auch irgendwann Stuttgart und Umgebung erreicht…oder habe ich ihn da verpaßt?