Filme aus Spanien und Lateinamerika vom 14. bis 21. April 2010 in Tübingen,Stuttgart und Freiburg
Zwar muss „CineLatino“ 2010 mit erheblichen Etateinbussen leben, aber das Programm kann sich wieder sehen lassen. Es findet diesmal nur in Tübingen, Stuttgart und Freiburg statt. Frankfurt fällt wegen der Sanierung des Filmmuseums weg, in Heidelberg sind die Räumlichkeiten anderweitig vergeben.
Angesichts der Reputation des Festivals irritiert, dass alte persönliche Querelen zwischen Carvalho und dem vor Jahren gekündigten Chef des Tübinger Filmtage-Vereins, Dieter Betz, noch immer ihre Schatten auf die Veranstaltung werfen. Nach dem Betz in einer Art Gnadenakt von Stefan Paul zum Programmgestalter seines „Arsenalkinos“ gemacht wurde, wandte sich Carvalho düpiert ab und zog mit seinem „CineLatino“ diesmal gegenüber in die „Museum-Lichtspiele“. Im „Studio Museum“ hat das Festival teilweise zwar auch in der Vergangenheit stattgefunden, Hauptspielort war aber das „Arsenal“. Als Ersatz dient das „Museum Kino 2“, von dem der örtliche Filmkritiker sagt, es sei nur „bedingt festivaltauglich“. Das in den Balkon eines ehemaligen Theatersaales eingebaute Schachtelkino verfügt aus Platzgründen nur über einen Projektor. Das heißt, jede Filmvorführung ist mit einer Zwangspause ver-bunden, in der der Vorführer die Spulen wechselt. Da hat zwar den nostalgischen Charme einer Schulvorführung und ist bei Rauchern als Zigarettenpause zwischendurch beliebt, entspricht aber nicht ganz dem gegenwärtigen Stand der Kinotechnik. Immerhin hofft man bei den „Vereinigten Lichtspielen“ in Tübingen darauf, das Problem mit den hand-lichen digitalen Möglichkeiten demnächst in den Griff zu bekommen.
Beim diesjährigen „CineLatino“ wird man also noch mit dem Manko leben müssen. Immerhin steht für besondere Anlässe das noble „Museum Kino 1“ zur Verfügung. So gestern Abend zur Eröffnung mit „El secreto de sus ojos/Das Geheimnis in ihren Augen“ von Juan Jóse Campanella aus Argentinien:
Ein Glücksfall für „CineLatino“: die Eröffnung mit dem diesjährigen Gewinner des Auslands-Oscars als deutsche Premiere. Dabei handelt es sich um eine höchst raffinierte Mischung aus Melodram, Zeitgeiststück und Krimi. Regisseur Juan José Campanella fädelt seinen Handlungs-faden provozierend langsam ein:
Benjamin Espósito ein wohlhabender pensionierter Polizeibeamter versucht sich zu erinnern, an seinen letzten Fall vor dem Beginn der Militärdiktatur in Argentinien. Es ging um einen Mord. Benjamin tut sich schwer mit dem Schreiben seiner Memoiren. Erinnerungslücken machen ihm Sorgen. Er war nämlich außer Landes. Deshalb besucht er seine alte Kollegin Irene. Die hat während der letzten Jahrzehnte ohne Unterbrechung im Justizministerium gearbeitet hat.Die Begrüßung zwischen den Beiden changiert zwischen Überraschung und peinlicher Betroffenheit.
Regisseur Campanella ist bei seinem Thema: Flucht oder Standhalten bzw. Anpassung in schwierigen politischen Zeiten: In „El secreto de sus ojos“ geht es um eine Innenansicht der Militärdiktatur des Jorge Rafael Videla. Seinem so genannten „Prozess der Nationalen Reorganisation“ fielen nach vorsichtigen Schätzungen zwischen 1976 und 1983 30 000 Argentinier zum Opfer, die entführt, gefoltert und ermordet wurden
Die bisherigen filmischen Trauerarbeiten über das düstere Kapitel der jüngsten Geschichte Argentiniens beschäftigten sich direkt mit dem Schicksal der „Verschwundenen“. Am bekanntesten ist „La Historia Oficial“ von Luis Puenzo.
Mit “El secreto de sus ojos” erreicht der Prozess der Aufarbeitung der “Junta”-Herrschaft eine neue Qualität. Nüchtern aus der Perspektive kleiner Bürokraten schildert Campanella am Beispiel einer Justizbehörde den schleichenden Übergang von der Rechtsstaatlichkeit in eine Diktatur.
Als Benjamin allzu neugierige Fragen stellt, blieb ihm nur die Flucht ins Ausland. Irene machte weiter ihre Arbeit im Ministerium. Zu den erstaunlichen Seiten dieses außergewöhnlichen Films gehört, wie ihm der dramaturgisch wie inhaltliche Bogen vom Vorher zum Nachher eines totalitären Regimes gelingt. Das hat zeitlose Bedeutung und überzeugt in jeder Beziehung. Kein Wunder, das die Mitglieder der „Academy of Motion Picture, Arts and Sciences“ den Film „El secreto de sus ojos“ mit einem Oscar gewürdigt haben. „Das Geheimnis in ihren Augen“ startet der neue Stuttgarter Camino-Filmverleih im Herbst in den deutschen Kinos.
Zum Eröffnungsfilm passt die diesjährige Retrospektive von „CineLatino“. Sie ist dem spanischen Regisseur Carlos Saura gewidmet – mit dem Schwerpunkt auf die Filme, die er in den 1960er Jahren unter der Franco-Diktatur gedreht hat. Subversive Meisterwerke wie „La Caza/Die Jagd“ (1965) oder „Peppermint frappé“ (1967), die nur noch äußerst selten zu sehen sind. In diesem Rahmen darf natürlich auch Sauras erfolgreichster Film „Carmen“ von 1983 nicht fehlen.
Spannend geht es bei „CineLatino“ mit einem aufschlussreichen Schwer-punkt „Filmland Kolumbien“ weiter. Außerdem natürlich Entdeckungen aus den anderen Regionen Süd-und Mittelamerikas sowie Spaniens. Zum Abschluss wird dann die bitterböse spanische Groteske „Gordos/Dicke“ gezeigt. Regisseur Daniel Sánchez Arévalo erregte von einiger Zeit mit „Dunkelblaufastschwarz“ Aufsehen.
Also nichts wie hin – ins CineLatino. Einzelheiten zum Programm unter www.filmtage-tuebingen.de.