Der gescheiterte Roehler: „Jud Süss – Film ohne Gewissen“
Nein, so richtig Geschichtsklitterung betreiben Oskar Roehler und sein Drehbuchautor Klaus Richter nicht – wie ihnen von Friedrich Knilli unterstellt wurde. Die äußeren Fakten stimmen – zumindest einigermaßen. Sieht man davon ab, das der Jud-Süss-Darsteller Ferdinand Marian nach dem Ende der Dreharbeiten des Films beileibe nicht bei Joseph Goebbels in Ungnade gefallen ist und mit einem Berufsverbot belegt wurde – wie Röhler/Richter in „Jud Süss – Film ohne Gewissen“ vermitteln. Marian wirkte bis zu seinem Tod bei einem Autounfall 1946 noch in zehn Filmen mit. Darunter in Klassikern wie „Münchhausen“ und „Romanze in Moll“. Außerdem war der Schauspieler nicht mit einer Halbjüdin verheiratet, sondern seine erste Frau – von der er längst geschieden war – hatte ein Kind aus einer Beziehung mit einem Juden. Dieser nicht ganz unwesentliche Eingriff sei dramaturgischer Natur gewesen, erklärte Klaus Richter treuherzig bei der Pressekonferenz am Nachmittag.
In die Rolle des „Jud Süss“ musste der historische Ferdinand Marian nicht vom Propagandaminister gepresst werden, er nahm sie dankend als Chance seines Lebens an. Als schwerer Alkoholiker bekam er nämlich selten Filmangebote dieser Güte und Goebbels suchte für die Rolle des Demagogen einen vergleichsweise unbekannten Schauspieler. Doch das war Oskar Roehler und Klaus Richter wohl nicht dramatisch genug. Anstatt die banale Alltäglichkeit zu beschreiben, mit der selbst ein Film wie „Jud Süss“ mit vielen Helferlein zustande kam, wird wieder das große Melodram bemüht: muss der arme Marian nicht nur um seine Frau (schrecklich: Martina Gedeck) bangen, die dann natürlich – um ihn vollends in die Knie zu zwingen – nach Auschwitz deportiert wird, sondern auch noch einen jüdischen Kollegen verstecken, der vom BDM-Dienstmädchen der Gestapo ausgeliefert wird. Die blonde Maid hat natürlich einen direkten Draht zum Propagandaminister, gehört zum Kreis seiner Mätressen. Platter geht es wirklich nicht. Die Welt war eben klein, damals in Berlin. Es blüht die Kolportage! Roehler stimmt naiv mit „Jud Süss – Film ohne Gewissen“ das alte Lied aus den 1950er Jahren an, wonach die Deutschen ein Volk von Widerständlern gegen das Regime waren und das Böse allein vom fiesen Goebbels und Konsorten ausging. Der Film-Propagandaminister wird von Moritz Bleibtreu als eitler Knattercharge verkörpert. Das scheint neuerdings Mode zu sein. Nach dem Christoph Waltz für diese Art der Darstellung von NS-Verbrechern letztes Jahr in Cannes mit einer Silbernen Palme als bester Darsteller (in „Inglorious Basterd“) belohnt wurde.
Vollends ins Nirvana der Albernheit driftet „Jud Süss – Film ohne Gewissen“ ab, wenn Ferdl Marian dem geilen Bock Goebbels die laszive Gattin (Gudrun Landgrebe) eines fiktiven KZ-Kommandanten ausspannt und am offenen Fenster von hinten befriedigt, während die alliierten Bomben auf Berlin fallen. So pervers ging’s bei den Nazis zu! Bizarre Drehbuch-Einfälle wie diese finden sich zu Hauf in „Jud Süss – Film ohne Gewissen“. Fatal auch der Einfall, Schlüsselszenen von Harlans „Jud Süss“ mit Tobias Moretti minutenlang akribisch nachzuinszenieren. Dramaturgische Stolpersteine, die wohl als Belege für die Bösartigkeit des Original-Films dienen sollen. Das Behauptete aber nicht einlösen. Zumindest für denjenigen, der das Gesamtwerk nicht kennt. Sicher, das Machwerk wurde den Soldaten der Wehrmacht vorgeführt, wenn Genozide bevorstanden. Aber Marian war da mit Sicherheit nicht dabei; er war – wie gesagt – bis Kriegsende gut im Geschäft als Schauspieler. Im Übrigen haben die 20 Millionen Besucher, die „Jud Süss“ in nur vier Jahren zum kommerziell erfolgreichsten deutschen Film bis 1945 gemacht haben, ihre Kinokarte nicht wegen der antisemitischen Hetze, sondern wegen der tränenseligen melodramatischen Geschichte von der verführten Unschuld in Star-Besetzung gekauft. Auch davor drückt sich Roehler.
Ambivalent pendelt sein Film zwischen der Rekonstruktion eines konkreten Sündenfalls der Filmgeschichte und dem Allgemeinen am Rande der Apologese hin und her – von einem Fettnäpfchen in das nächste! Zu Einem von Beiden hätte man sich schon entscheiden sollen. Da hilft es wenig, wenn Veit Harlan (Justus von Dohnànyi) als serviler Karrierist und Heinrich George (Armin Rhode) als dümmlicher Sprücheklopfer vorgeführt werden und Goebbels gerührt den von Heinz Rühmann gedrehten Geburtstagsfilm ansieht (erst vor kurzem in einem Moskauer Archiv entdeckt). Dazwischen Tobias Moretti, darstellerisch ein Lichtblick, als Schmerzensmann, der glaubt durch seine menschliche Darstellung des Jud Süss, das tödliche System der Nazis unterlaufen zu können und daran tragisch scheitert. Aus Ferdinand Marian einen Faust des „Dritten Reichs“ zu machen, ist einfach lächerlich! Zumal wenn das Ganze auch noch derart bieder,im konventionellsten Stil eines Fernsehspiels für die stillen Feiertage inszeniert wurde – bis zu den Schlusstiteln, die mit (Na, wem wohl?) – Zarah Leander unterlegt wurde. Schade: hier ging ein spannendes Thema baden, weil den Machern die Wirklichkeit einmal wieder nicht spannend genug war und sie sich deshalb an der dramaturgischen Mottenkiste zu schaffen machten. Ich verstehe jetzt, warum sich Prof. Friedrich Knilli darüber so aufregen musste! Nach Jo Baiers dramatischem Scheitern mit „Henry 4“, ist „Jud Süss – Film ohne Grenzen“ darüber hinaus der zweite deutsche Film dieser Berlinale, an dem sich die Überforderung eines Regisseurs manifestiert. Sowohl Baier als auch Roehler sollten in Zukunft die Finger von historischen Stoffen lassen.