Schon am frühen Morgen war der Hintereingang des Hyatt-Hotels am „Marlene Dietrich Platz“ vis-á-vis vom Berlinale-Palast von Fans umlagert. Gegen Mittag sollte Leonardo DiCaprio vorfahren – auf dem Weg zur Pressekonferenz zu „Shutter Island“ in dem er unter der Regie von Martin Scorsese die Hauptrolle spielt. Als es dann soweit war, ging in der Potsdamer Straße nichts mehr. Er kam leibhaftig und lächelte flüchtig. Sogar das eine oder andere Autogramm soll Leo gegeben haben. Am Abend auf dem Roten Teppich dann noch mal das selbe Spektakel. Martin Scorsese blickte wie immer magenkrank und Sir Ben Kingsley very britisch in die Objektive der Kameras. Man muß neidlos anerkennen, wenn einem solcher Ruhm gebührt, dann Leonardo DiCaprio . In Scorseses Verfilmung des Romans von Dennis Lehane bietet er wieder eine atemberaubende schauspielerische Leistung. Doch das geht nicht ohne einen Regisseur von Scorseses Klasse. Es gibt nur wenig Kunstwerke, von denen man sagen kann, sie erschlößen eine neue Dimension.
Martin Scorsese ist das mit „Shutter Island“ gelungen. Es handelt sich dabei um eine kongeniale moderne Version des deutschen Stummfilmklassikers „Das Kabinett des Dr. Caligari“. Es fängt ganz harmlos konventionell an: Teddy Daniels (DiCaprio) und sein Assistent Chuck (Mark Ruffalo) kommen als polizeiliche Ermittler in das auf einer einsamen Insel gelegene Ashecliffe Hospital für psychisch schwer gestörte Straftäter. Geleitet wird die Anstalt von den beiden Psychiatern Dr. Cawley (Ben Kingsley) und Dr. Naehring (Max von Sydow). Eine Patientin, die ihre gesamte Familie ausgelöscht hat, ist spurlos verschwunden. Die Polizisten sollen sie finden. Schon nach den ersten Minuten weiß der Zuschauer, da stimmt irgend etwas nicht. Nach und nach führt uns Martin Scorsese immer weiter in ein Labyrinth. Schließlich wird zumindest klar – und dann sind wir wieder beim alten „Caligari“ – der Psychopat ist Teddy! Nun besteht kein Mangel an Filmen, in denen uns die seelischen Verwirrungen von psychisch Kranken nahe gebracht werden. Beispielsweise von Kubrick in „Shining“. Selbst da gab es aber zum Schluss eine ansatzweise beruhigen Lösung mit auf den Heimweg. Den Gefallen tut uns Scorsese bei „Shutter Island“ nicht!. Ziemlich verschreckt schlichen deshalb die 1800 Journalisten aus der Pressevorstellung. Noch nie ist ein Film derart kompromisslos in die Welt eines Schizophrenen eingetaucht wie dieser. Wahn, Übertragungen, Fetzen der Wirklichkeit oder sind es auch nur Alpträume?, tiefe Ängste, Schuld – den ganzen Kanon der Qual beschreibt dieser – im wahrsten Sinne des Wortes – „schreckliche“ Film! Bereits bei seiner Uraufführung ein Stück Filmgeschichte! Wie jedes große Kunstwerk dürfte auch „Shutter Island“ nicht jedermanns/jederfraus Sache sein. Gerade deshalb sollte man sich nicht scheuen, ihn sich anzusehen (Ab 25. Februar in den deutschen Kinos). Dennis Lehanes Roman ist gerade als Ullstein Taschenbuch neu aufgelegt worden.
Angesichts dieses cineastischen Monoliths hatten es die anderen Filme im Programm der Berlinale schwer. Einen durchweg positiven Eindruck hinterließ der rumänische Wettbewerbsbeitrag „Eu cand vreau sa fluier,fluier/Wenn ich pfeifen möchte, pfeife ich“ von Florin Serban. Ein junger Mann soll in fünf Tagen aus dem Knast entlassen werden. Weil daheim alles aus dem Runder läuft, will er gleich weg, einfach nur weg. Mit Laiendarstellern in den Hauptrollen ist die Handlung Anlaß zur Be-schreibung der rumänischen Gesellschaft der post-sozialistischen Ära. Ein sinnlicher, direkter Film und somit ein direkter Kontrast zu Scorsese. Auch das macht ein Festival wie die Berlinale immer aufs Neue so spannend….