Die Erfahrungen mit der RAF und dem spektakulären Prozess gegen die Anführer der „Roten-Armee-Franktion“ in Stuttgart-Stammheim waren noch frisch, als Reinhard Hauff 1986 seinen dokumentarischen Spielfilm „Stammheim“ drehte. Obwohl der Film in der deutschen Öffentlichkeit kontrovers diskutiert wurde, war sein Rang als Zeitdokument doch unbestritten. Bereits die Produktion des Films „Stammheim“ fiel aus dem Rahmen. Der Produzent Eberhard Junkersdorf kooperierte mit dem Hamburger Thalia Theater. Das Ensemble stellte die Schauspieler. Das Drehbuch schrieb Stefan Aust, der sich damals bereits intensiv mit dem Baader-Meinhof-Komplex beschäftigt hatte, auf der Grundlage der Stammheimer Prozess-Protokolle: Ulrich Tukur als Andreas Baader und Therese Affolter als Ulrike Meinhof gaben der Dokufiction „Stammheim“ auch schauspielerisch Gewicht. Bereits bei der Hamburger Uraufführung in der Kampnagel-Fabrik gab es Morddrohungen. Dann wurde „Stammheim“ überraschend zur „Berlinale“ eingeladen. Im „Zoo-Palast“ vergossen Spontis Buttersäure. Ein infernalischer Gestank machte die Vorführung zur Zumutung. Die Jury war von Reinhard Hauffs Film beeindruckt – außer der Vorsitzenden Gina Lollobrigida…
Jedem, der es hören oder nicht hören wollte, erklärte Lollo ihre Abscheu vor diesem „Terroristischen Machwerk“.Wie sich später herausstellte hatte sie den Film nicht verstanden, die gesellschaftspolitischen Hintergründe von „Slammheim“ (wie sie sagte) waren ihr unbekannt. Innerhalb der Jury setzten sich die Kenner und Befürworter durch und so kam „Stammheim“ zum Goldenen Bären. Eine sichtbar verärgerte Gina Lollobrigida sorgte bei der Preis-Träger-Pressekonferenz für einen Beinahe-Eklat, als sie erklärte, die Entscheidung für „Stammheim“ sei gegen ihr Votum gefallen und sie sei fest entschlossen, den Preis nicht zu überreichen: Damit verletzte Lollo die Jury-Statuten und riskierte die Annulierung der Entscheidung. Eine für die Festivalleitung äußerst peinliche Situation. Um die Situation und damit auch die Filmfestspiele zu retten, bot der damalige „Berlinale“-Chef Moritz de Hadeln seine ganzen Charme auf, um die Diva dazu zu bringen, die mehrheitliche Jury-Entscheidung bei der Gala zur Preisver-leihung zumindest nach außen hin zu vertreten. Mit versteinerter Miene übereichte Gina Lollobrigida Regisseur Reinhard Hauff brüsk den Bären, um dann postwendend abzureisen.
Audio:
Legendärer Skandal: Jury-Vorsitzende Gina Lolobrigida missbilligt öffentlich die Verleihung des „Goldenen Bären“ an Stammheim. Berlinale-Legenden Teil 7. Von Herbert Spaich. SWR2 am Morgen vom 19.2.2010
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