Nicht weit vom „Zoo-Palast“ entfernt, am Anfang der Kant-Straße, liegt die „Paris Bar“. Eher unauffällig. Anfang der 1950er Jahre soll sie von einem Koch der französischen Armee gegründet worden sein. Nichts Besonderes, etwas für den schnellen Appetit und zur Stabilisierung des Alkoholpegels. Das änderte sich, als Michael „Michel“ Würthle nach 1970 die „Paris Bar“ übernahm. Der Künstler mit gastronomischen Neigungen machte daraus ein Bistro für gehobene Ansprüche. Die „Jungen Wilden“, vor allem der jung verstorbene Martin Kippenberger machten die „Paris Bar“ zu ihrem Stammlokal. Das wirkte auf die Westberliner Filmszene anziehend. Während der Berlinale ging es hier hoch her. Der Schriftsteller Heiner Müller notierte: „Wer hier eintritt, lasse alle Hoffnungen fahren, dass er herauskommt, ehe es Morgen wird. Und dass er herauskommt als der gleiche, der hineinging“.
Eine neue Ära der „Paris Bar“ begann, als sie von Rainer Werner Fassbinder zu seiner Berliner Stammkneipe, gleichberechtigt mit der Münchner „Eiche“, gemacht wurde. Während der Dreharbeiten zu seinem letzten Film „Querelle“ war sie für ihn sein zweites Zuhause, in dem der Star-Regisseur Hof hielt. Seine Cutterin, Vertraute und nach dem Tod Nachlass-Verwalterin, Juliane Lorenz, erinnert sich noch heute voller Wehmut an diese Zeit und hält der „Paris Bar“ die Treue. Erst dieser Tage, als sie auf der Berlinale die restaurierte Fassung von Fassbinders „Welt am Draht“ präsentierte, schaute sie bei Michel vorbei: „Er ist älter geworden – wie wir alle!“, sagt sie charmant. Doch die meisten alten Stammgäste der „Paris Bar“ kommen noch seltener als Juliane Lorenz. Otto Sander hat immerhin einen festen Platz, auf dem niemand anders sitzen darf. Auch Junior Ben Becker nicht, der ab und zu in der „Paris Bar“ Lesungen abhält. Dann ist es fast wie früher. Aber eben nur fast.
Eine treue Seele ist auch die Berliner Produzentin Regina Ziegler. Sie wurde dieser Tage beim Betreten der „Paris Bar“ gesehen. Wohl um sich von Michel trösten zu lassen, nachdem alle ihre „Henry 4“ -Produktion (im Festival als „Special“ versteckt) als Lachnummer verspotteten, bei der sich Heinrich Mann im Grabe umdrehen würde. Möglicherweise hat ihr in diesen schweren Tagen auch Wolfgang Joop beigestanden, ebenfalls ein unermütlicher „Paris Bar“-Gast. Trotzdem: nach dem Umzug der Berlinale an den Potsdamer Platz, hat die „Paris Bar“ im Großen und Ganzen an Bedeutung als angesagter Treffpunkt verloren. Da hilft nichts, als notgedrungen vom einstigen Ruhm zu zehren, als man noch die meist missgelaunten Kellner bestechen musste, um überhaupt eintreten zu dürfen.
Inzwischen geht, wer etwas auf sich hält, entweder ins „Florian“ (Grolmannstraße) – ebenfalls mit langer Tradition – oder ins „Schumanns“ (Mitte), vielleicht auch in die unterirdisch coole Hyatt-Bar. Berlinale-Chef Dieter Kosslick tafelt jedenfalls mit illustren Gästen gerne bei „Borcherdts“ (Französische Straße). Die Lokalitäten verbindet mit der „Paris Bar“ nicht nur der Snob Appeal, sondern Preise, die einen normalen Geldbeutel überfordern und nicht wirklich in einem vernünftigen Kosten-Nutzen-Verhältnis stehen. Insbesondere in der „Paris Bar“. Außerdem fragt es sich, ob man unbedingt mit Blick auf Otto Sander oder anderen Born-to-be-wilde-Gezeichneten speisen möchte….
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