Die Berlinale im Jahre 2004: Noch ist man fremd am Potsdamer Platz. Das Festival findet gewissermaßen auf einer Großbaustelle statt. Der erst seit zwei Jahren amtierende Festivaldirektor Dieter Kosslick wird noch mit Argwohn betrachtet. Immerhin hat er deutschen Filmemachern den Weg in den Internationalen Wettbewerb geebnet. Diesmal steht der neue Film von Romuald Karmakar auf dem Programm. Einer der immer für Überraschungen gut ist, hatte mit „Die Nacht singt ihre Lieder“ ein Stück des norwegischen Dramatikers Jon Fosse verfilmt. Frank Giering und Anne Ratte-Polle spielen ein junges Paar, dessen Beziehung zerbricht: Nach knapp fünf Minuten ein vernehmliches Kichern im neuen Berlinale Palast bei der Pressevorführung. Wenig später nimmt die Unruhe zu: lautes Lachen, spöttische Kommentare zur betont statischen Inszenierung sorgen für weitere Heiterkeit im Parkett und auf den Rängen. Die Meute hat ein Opfer gefunden.
Die Stimmung kippt: Ein Damm ist gebrochen, die Vorführung geht im allgemeinen Hohngelächter unter. Unmut wird laut. Türenschlagend verlassen reihenweise Journalisten den Saal. Die bleiben, sind betroffen angesichts einer vergifteten Sportpalast-Atmosphäre, in der eine konstruktive Auseinandersetzung mit einem hoch artifiziellen Film unmöglich geworden ist. Fortsetzung bei der Pressekonferenz, an der auch verstört Jon Fosse teilnimmt. Zunächst versucht ein bleicher Romuald Karmakar sein künstlerisches Konzept zu erklären. Wieder höhnisches Lachen. Da verlässt der Regisseur entnervt mit den Worten „…das ist mir zu primitiv“ den Saal. Totalverrisse – z. B. im „Spiegel“ – begleiten den Kinostart von „Die Nacht singt ihre Lieder“, der erwartungsgemäß floppt: Bis heute hat Romuald Karmakar keinen weiteren Spielfilm gedreht. „Die Nacht singt ihre Lieder“ gibt es inzwischen auf DVD von Absolut Medien. Da kann man eine vorzügliche Theaterverfilmung entdecken – die tragischerweise ihrer Zeit voraus war…