Um es gleich vorweg zu sagen, der Jubiläumsjahrgang konnte sich sehen lassen. Dieter Kosslick ist es gelungen in den letzten neun Tagen einen aufschlussreichen Überblick zum gegenwärtigen Stand des Weltkinos zu geben. Da war mit „Mammuth“ und einem übergewichtigen Gerard Depardieu ein Beispiel für ein schwächelndes französisches Kino. Ein „Schtie“ macht noch keinen Sommer. In Skandinavien suchen die Filmemacher nach Dogma und der Dominanz des Lars von Trier nach neuen Ufern – meist unter tief hängenden Wolken mit tragischen Schicksalen. Typisch dafür „Sebbe“, mit dem der junge iranische Regisseur Babak Najafi in Schweden debutierte und dafür in Berlin mit dem Preis für den besten Erstling ausgezeichnet wurde: ein Junge baut aus Langeweile eine Bombe, mit entsprechenden Folgen. Nach Jahren der Stagnation scheint es in Russland mit der Filmkunst wieder aufwärts zu gehen: Jedenfalls vermittelte das bei der Berlinale der gleich mehrfach ausgezeichnete Film „ Wie ich den Sommer zu Ende brachte“. Zwei Männer versuchen sich in einer entlegenen Polarstion in Machtritualen. Nichts Neues aus Amerika: Stringentes aus der Independent-Ecke – gefällig Belangloses vom Rande des Mainstreams.
Der deutsche Film kann sich seit der Ära Kosslick nicht mehr darüber beklagen, auf den Berliner Filmfestspielen unterrepräsentiert zu sein: nach dem er mit Heisenbergs „Räuber“ und „Shahara“ von Burhan Qurbani respektabel vertreten war, konnte man Oskar Roehlers „Jud Süss“- Blamage ebenso verkraften, wie Jo Baiers Lachnummer mit der in die Binsen gegangenen Heinrich Mann-Verfilmung „Henry 4“.
Und dann gab es im Programm der 60. Berlinale noch eine kleine exquisite Auswahl von Filmen, die makellose Meisterwerke sind. So vollkommen, so schön, das keine Jury dieser Welt an ihnen vorbei kommt: dazu gehört „Bal/Honig“ von Semih Kapanoglu – der diesjährige Gewinner des Goldenen Bären: Es handelt sich dabei um den letzten Teil einer Trilogie des türkischen Regisseur. Teil zwei dieser Biographie eines Intellektuellen – „Süt/Milch“ – war Anfang dieses Jahres in den deutschen Kinos zu sehen. In einer einzigartigen Bildersprache erzählt Kaplanoglu von einem hochbegabten Kind, das von seiner Intelligenz mehr behindert als beflügelt wird. An der Entscheidung der Jury unter Werner Herzog gibt es also nichts auszusetzen. Ebenfalls ein künstlerischer Höhepunkt dieser Filmfestspiele war „If I want to whisle, I whistle“ von Florin Serban. Ausgezeichnet mit dem Großen Preis der Jury und mit dem Alfred Bauer-Preis. Getragen von einem vorzüglichen Hauptdarsteller (George Pistereanu) gibt der rumänische Film einen formal brillanten, beunruhigen Einblick in die Lebenswelt der jungen Generation in einer aus dem Lot geratenen Gesellschaft. Sie haben die Spätfolgen des Ceaucescu-Regimes zu tragen. Also auch politisch ein wichtiger Film. Weniger eine künstlerische, als eine politische Entscheidung war die Verleihung des „Regie“-Bären an Roman Polanski für „The Ghostwriter“. Eine Solidaritäts-Adresse an den greisen Filmemacher, der wegen der Kleinmädchen-Affäre in der Schweiz unter Hausarrest steht. Der Preis sei ihm gegönnt, obwohl Schweinkram auch noch nach Jahrzehnten Schweinkram bleibt!
Deshalb hätte man sich gewünscht, anstatt dem in seiner langen Karriere vielfach prämierten Polanski, diesmal Filmmachern einen Preis zu geben, die nicht der Dunstkreis eines Skandals umgibt und die auf dem diesjährigen Berliner Filmfestival wesentlich bessere und wichtigere Filme präsentiert haben, als „The Ghostwriter“. Da wäre an erster Stelle der Iraner Rafi Pitts mit seiner beklemmenden Machtparabel „The Hunter/Tage des Zorns“ zu nennen. Ein mutiger Film, mit dem sich der Regisseur direkt ins Visier der iranischen Zensur und des Geheimdienstes begeben hat. Ebenfalls unberücksichtigt blieb „Na Putu/On the Path“ von Jasmila Zbanic. Die Bosnische Regisseurin hat 2007 einen Goldenen Bären für „Grbavica“ erhalten. Das mag ein Grund sein, warum sie diesmal leer ausging. Dabei behandelt Jasmila Zbanic in ihrem neuen Film ebenfalls ein eminent wichtiges Thema, das sie außerdem formal überzeugend umgesetzt hat: weil er sich nach dem Krieg in seinem Job als Fluglotse schwer tut, wird Amar gekündigt. Nicht mehr der Jüngste, ist er damit beruflich in einer Sackgasse, während seine Frau als charmante Stewardess keine Probleme hat. Erst schleichend, dann in rassantem Tempo driftet der bisher laisierte Muslim in den fundamentalistischen Untergrund ab. Bleib zu hoffen, dass dieser wichtige Film ebenso wie „The Hunter“ auch ohne „Berliner Bär“ die gebührende Aufmerksamkeit bekommt.
Audio:
Die Sieger der Berlinale und eine Bilanz des Festivals. SWR2 Journal am Morgen vom 22.02.2010
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