Amerikas verarmte weiße Mittelschicht gilt das Mitgefühl der Indepandent-Filmer in den USA. Es ist grundsätzlich zu begrüßen, das dem wirtschaftlichen und damit auch moralischen Niedergang eines Großteils der Bevölkerung in den USA die Aufmerksamkeit der Medien gilt. Schwierig wird es freilich dann, wenn die neue Armut mit unge-bremster Larmoyanz vorgeführt wird. Je trostloser die Verhältnisse, desto lustvoller werden sie von den Filmemachern ins Bild gerückt: da säuft der Daddy, da bekommt Mom von Dad ihr tägliches blaues Auge verpasst und die Kinder verwahrlosen in trostlosen Behausungen. Wem es noch einigermassen wirtschaftlich gut geht, hat einen kriminellen Hintergrund und stets die Knarre im Anschlag. Über allem spannt sich ein blauer Himmel und macht im Licht der Sonne alles noch viel schlimmer: so das Bild Nordamerikas in den Filmen, die im Programm des diesjährigen „Festival de Cannes“ zu sehen waren. Zum krönenden Abschluß läuft heute „Mud“ von Jeff Nichols („Shotgun Stories“, „Take Shelter“).
Nichols (Jahrgang 1978) gilt als eines der hoffnungsvollsten Talente des US-amerikanischen Films. Seine beiden ersten Filme gaben auch in den deutschen Kinos ein kurzes Gastspiel. Herbe Geschichten von einem besonders häßlichen Amerika. Gebürtig aus einer frommen Familie in Arkansas, arbeitet Nichols nach eigenem Bekunden in den Filmen seine Kindheitstraumata ab. Bruder Ben sorgt für dabei die musikalische Untermalung.
Nichols neuer Film „Mud“ spielt am Mississippi (natürlich in dem Teil, der durch Arkansas fließt). Auf einer Insel im Strom finden zwei aufgeweckte Jungs mit (natürlich) schwierigen Familienverhältnissen nicht nur ein bizarr in den Bäumen hängendes Motorboot, sondern auch einen Mann (Matthew McConaughey), der sich als Outlaw zu erkennen gibt. Das ist natürlich für die Buben höchst spannend, zumal ihnen Mud – so heißt der Fremde – das Gefühl gibt, ihm helfen zu können. Ein entflohener Ketten-sträfling, der sich – weil steckbrieflich gesucht – nicht unters Volk traut.
Da können der mürrische Vater von Ellis (Tye Sherdian) und der beschänkte Onkel von Neckbone (Jacob Lofland) nicht mithalten. Außerdem klingt die Geschichte vom großen starken Helden, der seine Geliebte (Reese Witherspoon) aus den Klauen fieser Gangster befreien und mit ihr dann in eine bessere Zukunft fliehen will, einfach hoch romantisch!
Ellis Eltern sind dabei sich scheiden zu lassen und seine erste Liebe will nicht recht in die Gänge kommen. Kumpel Neckbone findet Frauen ohnehin nur furchtbar. Das klingt ein wenig nach einem verarmten Tom Sawyer – Mark Twain hatte Nichols bei „Mud“wohl auch im Hinterkopf.
Hatte er in „Shotgun Stories“ noch rabiat und in „Take Shelter“ fantastisch überhöht den Verhältnisse auf den faulen Zahn gefühlt, ist ihm diesmal die Angelegenheit leider entglitten und damit der ganze Film in Schieflage geraten. Da wurde im Detail geschlampert – der angeblich ausgehungert isoliert auf der Insel lebende Mud freut sich über Nahrungsmittel, zündet sich aber in jeder Einstellung eine neue Zigarette an – gerät die Dramaturgie durch selber in den Weg gelegte Stolpersteine heftig ins Straucheln…
Zähflüssig wie der Mississippi dümpelt der Handlungsfluss „Mud“ matt einem hanebüchenen Ende entgegen: vorher darf Mut noch Gutes tun und bei Ellis Notarzt spielen, als der von einer giftigen Schlange gebissen wurde… Die Eltern sind schließlich beschämt, die Jungen werden für ihre Courage belohnt und Opa greift von der gegenüberliegenden Flußseite zum Repetiergewehr und verhindert das Allerschlimmste… Nein, auch „Mud“ muss nicht sein…. Man könnte natürlich spekulieren, ob der Film vielleicht nur als Notlösung nach Cannes kam, weil der ebenfalls vom Weltvertrieb „Filmnation Entertainment“ betreute neue Terrence Malick nicht rechtzeitig fertig geworden ist… Außerdem ist ja Haupt-darsteller Matthew McConaughey ( in einer der „Paperboys“) ohnehin in der Stadt – da lohnen sich dann die Reisekosten!