Am 28. Juni 1981 begann um 20.15 Uhr eine neue Ära im Deutschen Fernsehen: Der WDR präsentierte seinen neuen „Tatort“-Kommissar Horst Schimanski in der Folge 126 „Duisburg-Ruhrort“. Ganz das Gegenteil seines gepflegten Vorgängers Haferkamp aus Essen, ist Hauptkommissar Schimanski ein Rüpel: Die BILD-Zeitung stellte nach der Ausstrahlung fest: „Der Ruhrpott kocht: Sind wir alle Mörder oder Trinker?“ Die „taz“hingegen freute sich: „Solche Bullen braucht das Land!“. Wie kein anderer wurde Horst Schimanski der Liebling der Nation und machte seinen Darsteller Götz George zu einem der populärsten Schauspieler im Lande. Nach 29 Folgen „Tatort“ bekam „Schimanski“ sogar eine eigene Serie. Die bislang letzte Folge wurde Anfang des Jahres ausgestrahlt. Schimi ist Kult und hat eine treue Fan-Gemeinde.
Der Herr Kommissar scheint unausgeschlafen, kratzt sich am Hintern und frühstückt auf die Schnelle zwei rohe Eier. Vor dem Fenster die reine Tristesse. So stellte sich Horst Schimanski dem deutschen Fernsehvolk in der „Tatort“-Folge „Duisburg-Ruhrort“ vor. Das war so ganz anders als das, was die in die Jahre gekommene ARD-Gemeinschafts-Krimi-Reihe bis dato am Sonntagabend zeigte.
Neu war bei Schimanski auch, dass sich sein Darsteller ganz und gar mit der Rolle identifizierte und sie nach seinem Gusto entwickelte: Götz George brachte sein eigenes Ego vehement in die Rolle ein. Zum Entzücken der weiblichen Zuschauer zog er mindesten einmal pro Folge sein Hemd aus. Obwohl nicht mehr der Jüngste, war nicht zu übersehen, dass Götz George fleißig an seinem Body arbeitete. Wer sich derart in ein Projekt einbringt, will auch bei den Dreharbeiten mitreden.
Das ist nicht jedermanns Sache, und so bildete sich auch hinter der Kamera ein mehr oder weniger festes „Schimanski“-Team. Das strahlte sogar ins Kino aus…
Die „Tatorte“ aus Duisburg entwickelten sich zu den Quotenbringern der Reihe. Obwohl sich George mit seinen wenigen (Nicht-Schimi)-Kinoauftritten – „Schtonk“ und „Der Totmacher“ – mehr künstlerische Meriten erwarb, blieb die Verkörperung von Schimanski der Schwerpunkt seiner schauspielerischen Arbeit.
Aus Horst Schimanski war ein Selbstläufer geworden, von dem jeder Produzent nur träumen kann. Es gibt inzwischen einen regelrechten Schimanski-Kult: von fiktiven Biographien auf dem Buchmarkt – unter anderem vom Stuttgarter Krimiautoren Felix Huby – bis zur Schimanski-Homepage im Internet. Danach lässt sich folgender Lebenslauf rekonstruieren:
Horst Karl Georg Schimanski wurde am 9. Oktober 1938 in Stettin geboren. Nach anderen Quellen 1943 in Breslau oder 1948 in Duisburg. Letztere gelten aber als unseriös. Richtig ist: Die allein erziehende Mutter Clara Schimanski zog 1948 mit ihrem 10jährigen Sohn in den Duisburger Vorort Homberg. Es gelang Clara nicht, den Jungen in den Nachkriegswirren angemessen zu erziehen. Nach der Hauptschule: Schweißerlehre, die Horst jedoch nach kurzer Zeit abbrach. Wegen Diebstahl und mittelschwerer Körperverletzung kam der halbwüchsige Horst Schimanski mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt. Mutter Schimanski war inzwischen an Gram gestorben. Da entdeckte der Duisburger Kommissar Karl Königsberg hinter der ungehobelten Fassade einen goldenen Kern und vermittelte Horst eine Ausbildung zum Polizisten.
Auch der Polizeischule gelang es indes nicht, Schimanski an nachhaltige Körperpflege und zivilisierte Essmanieren zu gewöhnen und ihm das Wort „Scheiße“ abzugewöhnen. So blieb Königsberg – inzwischen Kriminaloberrat – nichts anderes übrig, als „Schimi“ in seine eigene Duisburger Abteilung aufzunehmen, um im Zweifelsfall eingreifen zu können, wenn der Junge mal wieder aus der Rolle fiel.
Eines musste man Schimanski lassen: Im Halbweltmilieu kam er prima zurecht. Mit 100prozentiger Erfolgsquote bei der Aufklärung von Schwerverbrechen. Daran hatte allerdings Kollege Christian Tanner (Eberhard Feik) wesentlichen Anteil: mit „Mensch Horst!“ pflegte er Schimanski in die Grenzen zu verweisen
Die Zeit verging, Schimanski wurde 1991 pensioniert, wanderte nach Belgien aus, wo er eine Boxschule eröffnete. Schicksalsschläge überschatteten seinen Ruhestand: Bruder Eberhard beging in einem türkischen Gefängnis Selbstmord, Kollege Tanner wurde auf offener Straße umgebracht. Schimi musste wieder ran. Im Moment steht er der Staatsanwaltschaft Duisburg als freier Mitarbeiter zur Verfügung.
Schimanskis Biographie setzt sich aus knapp 40 Tatort-/Schimanski-Folgen und reiner Fiktion zusammen . Wahr ist, dass in Schimanskis schmuddeliger Bomberjacke seit 30 Jahren der Schauspieler Götz George steckt. Mit Horst Schimanski fand er die Rolle seines Lebens, die inzwischen zu seinem Alter ego geworden ist. Schimi und Götz verbindet mehr als nur das gemeinsame Geburtsjahr 1938.
Götz George kam nicht als Kind armer Leute zur Welt, sondern als Sohn des berühmten Schauspielerehepaars Heinrich George und Berta Drews. Vater Heinrich galt in den 1920er Jahren als Links, was ihn nach 1933 nicht daran hinderte, vom ersten („Hitlerjunge Quex“) bis zum letzten („Kolberg“) Propagandafilm des NS-Regimes mitzuwirken. Auch in „Jud Süss“ war er als Württembergischer König an prominenter Stelle mit dabei.
Im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen musste Heinrich George dafür einen hohen Preis bezahlen: Er überlebte 1946 die Tortur durch die Sowjets im alliierten „Speziallager Nr. 7“ auf dem Gelände des ehemaligen KZ Sachsenhausen nicht.
Der Übervater einseits, seine Vertrickung in das NS-Terrorregime andererseits und schließlich dessen Tod, der einer Exekution gleichkam, haben Götz George entscheidend geprägt. Eine ziemlich „dünne Haut“ hat ihm das Leben in der Medienöffentlichkeit nicht leicht gemacht – vom „Bravo“-Starschnitt bis zur frechen Anmache durch Rosa von Praunheim in einer Talkshow, bei der er George als angeblichen Schwulen outete. Daran hat er sich nie gewöhnt. Dabei stand er bereits als Kind in der Öffentlichkeit:
Während Bruder Jan sich dem Werbefilm zuwandte, wählte Götz den Beruf des Schauspielers. Als sonniger Knabe debütierte er an der Seite von Romy Schneider 1953 in „Wenn der weiße Flieder wieder blüht“. Seine besten, wenn auch nicht populärsten Rollen spielte Götz George in Filmen, die sich mit dem gewöhnlichen Faschismus unter dem NS-Regime oder dessen Nachwirken im Wirtschaftswunder-Deutschland auseinander setzten. Zum Beispiel in „Kirmes“ (1960) oder in „Herrenpartie“(1964). Nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit lief 1977 „Aus einem deutschen Leben“ von Theodor Kotulla, in dem Götz George als Auschwitz-Kommandant Höss eine verstörende schau-spielerische Leistung bot.
Doch hatte George bereits mit „Schatz im Silbersee“ oder „Himmelfahrtskommando El Alamein“ das Image des muskulösen Kraftmeiers weg. Er war einer von vielen westdeutschen Schauspielern zwischen Trash, Boulevardtheater und gelegentlichen Ausflügen zum Fernsehen und – selten – zum Regietheater eines Hansgünther Heyme.
Da kam Schimanski wie ein Geschenk des Himmels! Götz George nahm die Rolle dankbar an, nach dem klassischen Motto: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein!“
Der Erfolg mit dem unkonventionellen Schimi wirkte sich auch direkt auf die weitere Konzeption der „Tatort“-Reihe aus. Da gibt es inzwischen den ebenso ungepflegten Kommissar Thiel aus Münster; in Frankfurt ermittelt ein Todkranker, nach dem seine schwer depressive Kollegin den Dienst quittiert hat. Der Kommissar als Antiheld mit verletzlichem Seelenleben! Schimanski hat es vorgemacht und deshalb wird ihm seine große Fan-Gemeinde auch dann noch die Treue halten, wenn er mit dem Rollator an Rhein und Ruhr auf Mörderjagd geht und nicht mehr das Hemd auszieht. Wir werden schließlich alle mal älter…
Michael John Czank
Es gibt viele gute „Tartort-Kommisarinnen und kommissare“ , aber der nummer einz ist nunmal SCHIMANSKI ! Danke .
Gute Weinachten !
Michael