Film-und Kinogeschichten
276 Seiten mit Abb.
Edition Nautilus Verlag Lutz Schulenburg, 2009
16.90 Euro
KinobetreiberInnen sind ganz besondere Menschen! Dazu muss man geboren sein. Das hat mit Passion zu tun und lässt sich deshalb auch nicht lernen. Neben der Liebe zu den bewegten Bildern, ist der/die KinomacherIn der Magie des Kinos mit Leib und Seele verfallen. Ohne sein/ihr Filmtheater wäre er/sie verloren.
Außerdem sollte er/sie bei aller Liebe zum Film auch noch gut rechnen können und von umgänglichem Charakter sein. Diese glückliche Kombination verhilft nicht nur ihm/ihr, sondern tausenden von Kinogehern zu großem Glücksgefühl.
KinomacherInnen können viel erzählen und haben in der Regel ein erstaunliche Biographie. So wie Heinz Lochmann aus dem Remstal bei Stuttgart. Der hat mit 12 zusammen mit seinem Bruder von einer Tante ein kleines Filmtheater neben der elterlichen Bäckerei geerbt. Parallel zur Ausbildung zum Bäckermeister baute sich Heinz Lochmann ein Kinoimperium auf, zu dem neuerdings auch das „Passage-Kino“ in der Hamburger Mönkebergstraße und ein Filmverleih („Drei Freunde“) gehört.
An Heinz Lochmann zeigt sich ausgeprägt ein weiterer Charakterzug in der Mentalität das typischen Kinomachers. Er ist ständig im Laufschritt unterwegs und hat nur selten Zeit, um über sich und seine Passion zu reden, geschweige denn zu schreiben.
Vermutlich war das bei Werner Grassmann ähnlich, als er sich noch nicht (zumindest teilweise) aus dem Alltagsgeschäft zurück gezogen hatte. Jetzt verdanken wir ihm mit „Hinter der Leinwand – Film-und Kinogeschichten“ eines der schönsten und charmantesten Bücher über die Lust am Film im Allgemeinen und der des Kinomachens im Besonderen.
Grassmann ist Hamburger und verfügt über den ganz speziellen Humor der Hanseaten und ihre Kunst des Erzählens. Vermutlich hat das mit der jahrhundertealten Seefahrertradition zu tun; nach einem mehr oder weniger langen Törn rund um die Welt gab es immer viel zu erzählen.
Werner Grassmann hat sein erstes Kino 1953 gegründet. Es hieß „Studio 1“ und befand in einem Hamburger Hinterhof in einem ehemaligen Buchlager. Es war das wohl erste deutsche Programm- bzw Arthauskino. Es existierte zwar nur drei Jahre, aber sollte Grassmanns weiteres Leben doch wesentlich bestimmen. Obwohl er zwischenzeitlich sowohl als Fernsehpressechef des Süddeutschen Rundfunks als auch als Redakteur der „Tagesschau“ eine gute Figur gemacht hatte, ließ ihn das Kino nicht los.
Endgültig in die Analen der deutschen Kinogeschichtsschreibung ging Werner Grassmann 1970 ein, als er mit der Gründung des „Abaton“-Kinos im Hamburger Grindelhofviertel einen völlig neuen Typ des Filmtheaters aus der Taufe hob. Das Markenzeichen: Ein klug konzipiertes Filmprogramm auf höchstem Niveau und mit markantem Profil sowie ein siebter Sinn für Entdeckungen. Grassmann hat unter anderem die Marx Brothers für Deutschland entdeckt. Das Ganze in gemütlichem, familiärem Rahmen. Deshalb gehört zum Kino von Anfang an auch ein Bistro.
Das Konzept „Abaton“ hat in der ganzen Republik Schule gemacht. Das Hamburger Kino ist nach wie vor eine wichtige Bastion in der eher bescheidenen Hamburger Filmtheater-Landschaft. Überregionale Besucher finden hier jedes Jahr Anfang Oktober die besonders anspruchsvollen Programmteile des „Filmfestes Hamburg“, zu dessen Gründern Werner Grassmann gehört.
Dass seine Autobiographie vorzüglich geschrieben ist, braucht nicht besonders betont werden. Nonchalant lässt er die Stationen eines Lebens in einer spannenden Branche Revue passieren – einer Branche, in der man vielleicht mehr als anderswo interessante Leute trifft. Zu den hinreißenden Momenten dieses Buches gehört zum Beispiel die Beschreibung einer Werbekampagne für Dany Levis ersten Film „Du mich auch“ durch die Hamburger Innenstadt. Der mutige Regisseur hing dabei am Haken eines Auto-Abschleppkrahns. Das muss man lesen….
Wir lernen aus Büchern wie diesem: nicht Regisseure und Produzenten sind es, die die Filmkunst über die 100 Jahre gerettet haben, sondern die Werner Grassmanns!