Geschichten aus dem richtigen Leben erzählen vier der zehn Produktionen, die für den „Besten Film“ nominiert sind: Die Vergangenheit lehrt, Boxer haben keine schlechte Chancen bei den Mitgliedern der „Academy of motion picture arts and sciences“: vor dem Hintergrund von „Rocky“ und „Million Dollar Baby“ darf sich also in diesem Jahr David O.Russell durchaus Hoffnungen machen, heute für sein Haudrauf-Brüder-Rivalitäts-Drama „The Fighter“ einen Preis zu bekommen.
Es geht um den rauen Alltag beim Profiboxen und dem mühevollen Weg nach Oben – nach realem Vorbild. Russell bleibt bei den Leisten des Genres. Mark Wahlberg zeigt seinen Sixpack und Christian Bale gibt – ziemlich abgemagert – den Junkie-Boxer…
„The King’s speech“ macht uns mit der menschlichen Seite eines stotternden Monarchen vertraut: Colin Firth brilliert als George VI. im ansonsten eher betulich inszenierten historischen Bilderbogen von Tom Hooper. Die Oscar-Chancen als bester Film sind in letzter Zeit etwas gesunken, nach dem findige Historiker angemerkt haben, George war gar kein Anti-Nazi (wie im Film behauptet), sondern zeigte Sympathie für das NS-Regime….
Der sechs Mal nominierte „127 Hours“ beruht auf den persönlichen Erfahrungen von Aron Ralston. Der sportliche junge Mann geriet im Grand Canyon in eine missliche Lage: beim Klettern löste sich ein Felsbrocken und quetschte ihm den Arm ein. Fünf Tage hielt Aron durch, dann griff er zum Taschenmesser und amputierte den Arm. Darüber hat er ein erfolgreiches Buch geschrieben (Deutsch bei Ullstein), das Danny Boyle verfilmte.
Er wird vermutlich diesmal leer ausgehen. Nicht allein weil er erst für „Slamdog Millionär“ bedacht wurde, sondern weil den Juroren die drastische Schilderung, wie sich der Held am Ende in einer 20minütigen Sequenz von seinem Arm trennt, zu viel des Guten sein dürfte.
Immerhin moderiert Hauptdarsteller James Franco – auch als bester Hauptdarsteller nominiert – die diesjährige Oscar-Veranstaltung. Er könnte sich die Trophäe dann selbst überreichen. Wäre auch einmal nett! Aber Franco wird den Darstellerpreis nicht bekommen, sondern Colin Firth für seine Verkörperung des stotternden King George.
Nachdem er in den letzten Monaten bereits alle in den USA verfügbaren Preise bekommen hat, steht „The social network“ über den so gerissenen, wie erfolgreichen Facebook-Gründer Mark Zuckerberg für „the best picture“ so gut wie fest: Zuckerberg erinnert mit seiner fulminanten Karriere zum jüngsten Milliardär der Welt an den großen amerikanischen Traum, der in letzter Zeit zum Albtraum mutiert ist. Insofern liegt David Fincher mit „The social network“ voll im Trent und das wird traditionell mit einem Oscar belohnt. Allerdings auch hier der Makel: der Film soll mit den Kabalen um die „Facebook“-Gründung die Wirklichkeit manipuliert und Zuckerberg noch unsympathischer gemacht haben, als Tycoons in amerikanischen Filmen für gewöhnlich zu sein pflegen.
Also: gar nicht so einfach mit den Geschichten aus der Wirklichkeit. Aber bei Oscars immer noch wohl gelittener als das Fiktive. Vor allem, wenn es so experimental auftritt wie in „Inception“ von Christopher Nolan. Dabei dürfte es sich zwar um die innovativste amerikanische Produktion des Jahrgangs 2010 handeln. Die komplizierte Angelegenheit zwischen Traum und Wirklichkeit aber den Academy-Mitgliedern zu unübersichtlich für den Haupt-Preis sein. Deshalb wird es wohl nur zu einem Oscar für die digitalen Effekte reichen.
In Darren Aronofskys „Black Swan“ wird zwar heftig „Schwanensee“ getanzt und die Arbeit beim Ballett als Vorhölle gezeigt, aber so richtig ist auch das kein „Oscar“-Film. Zu düster und zu offensichtlich in seiner schwülen Kolportage. Da hat nur Natalie Portman Chancen als „Beste Hauptdarstellerin“, weil sie so malerisch bei Tschaikowski irre wird.
Im Gegensatz zu Boxern haben Cowboys, Bergsteiger und Underdogs bei den Oscars wenig Erfolg. Daran wird sich auch in diesem Jahr nichts ändern: für „True Grit“ von den Coen-Brüdern ist deshalb bestenfalls mit einem „Academy Award“ für die beste Nebenrolle zu rechnen.
Dann gibt es da noch Possierliches aus der Welt des Animationsfilms „Drachenzähmen leicht gemacht“ und „Toy Story 3“, Schwulitäten mit Annette Bening und Julianne Moore – „The kids are all right“ – und Trostloses vom äußersten Rand des „White Trash“ – „Winter’s Bone“, die zwar wenig Aussicht auf „The Best Picture“ haben, aber in einer der vielen Einzelabteilungen durchaus etwas abbekommen können.
Favoriten für einen Auslands-Oscar sind „In einer besseren Welt“ der Dänin Susanne Bier. Es geht um Achtsamkeit. Und „Hors la loi“ von Rachid Bouchareb. Der Film handelt vom Kampf der FLN um die Unabhängigkeit Algeriens 1961. In Frankreich umstritten, von Außen betrachtet eine ziemliche zeitlos aktuelle Zustandsbeschreibung…. Das kann bei der Oscar-Vergabe eine Rolle spielen.
Wir werden sehen – ab zwei Uhr hiesiger Zeit beginnt in L.A. die Oscar-Zeremonie 2011. Wie immer live auf Pro7.