England 2011
Regie: Patrick McGrady
Mit Stephan Fry
Kinostart: 21. Juni 2012
„…Wir wünschen unwillkürlich mit einem so aussehenden Menschen nichts gemein zu haben!“ Einer der harmloseren Sätze aus dem Artikel „Das Judentum in der Musik“, den Richard Wagner 1850 in den „Neuen Zeitschrift für Musik“ und zwanzig Jahre später als Sonderdruck noch einmal veröffentlichte. Aus der persönlichen Abrechnung mit den damals erfolgreicheren jüdischen Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy und Giacomo Meyerbeer verfasste Wagner eines der übelsten antisemitischen Pamphlete, das von Adolf Hitler in „Mein Kampf“ als Referenz benutzt und schließlich mit zur Begründung des Holocaust herangezogen wurde. Die Musik Richard Wagners erfreute sich unter Hitlers Regime besonderer Wertschätzung. Hat sie nicht dadurch einen unauslöschlichen Makel? Kann oder darf man den „Ring“ oder „Die Meistersinger“ nach Auschwitz gewissermaßen „wertfrei“ genießen, als Jude gar Wagnerianer sein? Dieser Frage geht der englische Dokumentarfilm „Wagner & Me“ nach, der jetzt mit einiger Verspätung in unseren Kinos zu sehen ist .
Wenigstens einmal im Leben: eine Wagner-Oper in Bayreuth auf dem „Grünen Hügel“ erleben! Der Traum eines jeden Wagnerianers. Das wünscht sich auch der englische Schriftsteller, Schauspieler und Comedian Stephen Fry, dem man seine Liebe zu Wagner gar nicht zugetraut hätte. Filme wie ein „Fisch namens Wanda“, „Gosford Park“ und „Oscar Wilde“ haben ihn auch hierzulande bekannt gemacht.
Der Dokumentarfilm „Wagner & Me“ von Patrick McGrady begleitet Stephen Fry nach Bayreuth. Als Fry ins Allerheiligste hinter die Bühne zu Orchesterproben darf, ist die Freude groß… Er fühle sich wie ein Kind in einem Bonbon-Laden, sagt er.
Soweit könnte „Wagner & Me“ eine freundliche Reportage über den zur Exzentrik neigenden Stephen Fry sein. Doch dann ändert sich der Tonfall: Stephen Fry ist der Sohn österreichischer Juden, denen 1939 die Flucht nach England gelang. Der Rest der Familie ist von den Nazis ermordet worden. Darf ein Jude Wagneriner sein? Um der Frage auf den Grund zu gehen, macht Fry von Bayreuth aus einen Abstecher nach Nürnberg zu den Resten des ehemaligen Parteitaggeländes. In der morbiden Atmosphäre von Speers gigantomanischer Architektur scheint die Wagner-Begeisterung Frys abzukühlen.
Die Nähe von Wagners Welt zu Adolf Hitlers Allmachtsphantasien werden hier physisch spürbar. Die Hasstiraden des Komponisten in „Das Judentum in der Musik“ drängen sich auf. Ebenso seine Instrumentalisierung durch das barbarische NS-Regime. In Bayreuth steht neben Wagners Grab in Sichtkontakt zum Festspielhaus eine Büste des Nazi-Bildhauers Arno Breker. Und dennoch: Wagners Musik ist größer als der Antisemitismus seines Schöpfers und den Missbrauch durch einen Adolf Hitler…
Stephen Fry wird trotz allem die Musik Richard Wagners auch in Zukunft lieben! Eine bessere Einstimmung in das Wagner-Jahr 2013 als der Dokumentarfilm „Wagner & Me“ kann es nicht geben – weil er sich mit britischem Stil der Ambivalenz zwischen der Musik des Komponisten und seiner problematischen Persönlichkeit nähert. Als Import aus England ist der Film übrigens bereits auf DVD zu haben…