„Taschen. Eine europäische Kulturgeschichte vom 16. bis 21. Jahrhundert“ heißt eine Ausstellung im Bayerischen Nationalmuseum in München, die heute am Donnerstag, 11. April 2013 eröffnet wird und noch bis zum 25. August zu sehen ist. Die Exponate reichen von den Ridicules und Pompadours der Vergangenheit bis zum Schrankkoffer und der etwas handlicheren Clutsch von heute. Ein Aspekt ist innerhalb der Ausstellung eindeutig unterrepräsentiert: die Verdienste der Filmemacher und den ihnen zuarbeitenden Kostümbildner als Trendsetter der Handtaschen-Mode im 20. Jahrhundert und die Bewahrung großen Vergangenheit dieses universellen und keinesfalls geschlechtsgebundenen Transportmittel. Ein Blick in die Handtaschen-Filmgeschichte.
Die amerikanische Schauspielerin Doris Day verkörperte in den 1950er Jahren fast ohne Ausnahme die patente Ehefrau, die dem vielbeschäftigten Gatten den Rücken frei hält und mit natürlicher Autorität und Herzenswärme ihrem Nachwuchs den Weg in ein Leben voller Tüchtigkeit ebnet. Weil es immer etwas zu besorgen bzw. zu transportieren gibt, geht die gute Filmfrau nie ohne Handtasche aus dem Haus! Beispielsweise 1956 in „Der Mann der zu viel wusste“ von Alfred Hitchcock. Nicht nur als perfekt inszenierter Spionagethriller, sondern was der Gebrauch der Handtasche betrifft, eines der ergiebigsten Werke der Filmgeschichte.
Die legendäre Hollywood-Kostüm-Designerin Edith Heath versorgte die Schauspielerin in nahezu jeder Einstellung mit einem neuen, der Situation angemessenen Exemplar.
Wenn Doris Day in einer dubiosen Abendgesellschaft ihr gekidnapptes Film-Kind herbei singt (Che sera, sera…), liegt auf dem Flügel das kleine Schwarze. Eine etwas größere Tasche ist dabei, als es in der Royal Albert Hall um die Verhinderung eines Attentats geht.
Eine interessante Kombination auf Designerkorb, Hutschachtel und Einkaufstasche bekommt Doris Day schließlich zum Bummel über den Basar von Marrakesch von Edith Heath in „Der Mann, der zu viel wusste“ an die Hand. Sowas trägt sich schwer – zumal Gatte James Stewart von dem extravaganten Teil die Finger lässt.
Wo große Gefühle und tragische Momente die Menschen auf der Leinwand und im Publikum bewegen, ist eine Clutsch das angemessene Accessoire. Die kleine Elegante für den Abend reicht mit oder ohne Spagettiträger für das Seidentüchlein, um verstohlen die Tränen abzutupfen und das Rouge zur Beseitigung der Colateralschäden am Make up: Ein Meister im Arrangement auch solcher Details – wiederum beigesteuert von Edith Heath – war Douglas Sirk. Zum Beispiel in „Die wunderbare Macht“ von 1954. Jane Wyman verkörpert eine blinde Lady, die das Herz des rüden Playboys Rock Hudson rührt – u.A. mit der Handtasche!
An der Wahl und der Zahl der Handtaschen auf der Leinwand lässt sich 1950er Jahren vortrefflich der Unterschied zwischen Amerika und Westdeutschland festmachen: Magda Schneider muss in „Wenn der weiße Flieder wieder blüht“ den gesamten Film hindurch mit einem kleinen samtenen Handtäschchen auskommen. Auch wenn sie abends noch ausgehen will und Töchterlein Romy kurz angebunden ins Bett verbannt. Armes Deutschland…
Im anderen Teil Deutschlands im real existierenden Sozialismus konnte man selbst von schicken schwarzen Handtäschchen nur träumen: wenn sich Paula und Paul in der Plenzdorf-Verfilmung „Die Legende von Paul und Paula“ näher kommen, hängt ihre hässliche Schultertasche aus Kunstleder zwischen ihnen.
Das war 1973. Danach spielten Handtaschen im Film seltener eine Rolle: emanzipierte Frauen bevorzugten die einfache Plastiktüte. Jetzt kündigt sich eine Renaissance an.
Niemals ohne Handtäschchen sind die Damen in der amerikanischen TV-Serie „Sex in the City“ unterwegs. Allerdings nicht mit irgendwas, sondern von einer französischen Nobelmarke. Die Firma zahlt viel Geld für diese verdeckte Werbung. Deshalb bekommt jeder Post vom Kadi, der glaubt, ohne Erlaubnis, ein Täschchen aus der Produktion des Hauses in einen Film schmuggeln zu können. Neuerdings bekamen die Macher des Blödelfilms „Hangover 2“ eine Klage ins Haus, weil einer der Hauptdarsteller (!) für einen kurzen Moment ein angebliches Plagiat in Händen hielt. Wir lernen daraus: Handtaschen im Film sind ein weites Feld, das sich zur Bearbeitung durch einen Filmhistoriker geradezu aufdrängt…