Der Animationsfilm für Erwachsene
Von Florian Schwebel
171 Seiten, Abb. Schüren Verlag, Marburg
Preis: 22.90 €
Allen Ernstes würde niemand das Stuttgarter „Trickfilmfestival“ als Kinderveranstaltung bezeichnen. Ansonsten umgibt den Animationsfilm in der deutschen Öffentlichkeit nach wie vor die Aura der vorpubertären Unterhaltung. Darauf bauen sogar große Firmen wie Walt Disney, die dann mit Erstaunen feststellen müssen, dass sie mit dieser Vermarktungsstrategie baden gegangen sind. Jüngstes Beispiel: „Küß den Frosch“. Nach dem Trailer zu urteilen, handelte es sich dabei um die niedliche Verfilmung des Märchens vom Froschkönig für das Vorschulalter. Weit gefehlt. Bereits in den ersten Minuten wird klar, es handelt sich dabei um eine charmante Satire für Erwachsene: im Gegensatz zum Märchen wird der Frosch durch den Kuss nicht zum Prinzen, sondern die Küssende zum Frosch. Das Ganze spielt in Louisiana um 1930 mit viel Jazz in der Musik und Art Deco in Bildgestaltung.
Nicht erst seit den bösen Zeichentrickfilmen aus den 1970er wie „Fritz the Cat“ wenden sich die meisten Animationsfilme an ein erwachsenes Publikum. Heute nennt man das im Zweifelsfall „Family-Entertainment“. Dazu sind zum Beispiel die Produktionen des Pixar Studios zu zählen. Eindeutige Ausnahmen wie „Waltz with Bashir“ bestätigen die Regel. In seinem verdienstvollen Buch „Von ‚Fritz the Cat‘ zu ‚Waltz with Bashir'“ hat Florian Schwebel eine Tour d’horizon durch die Geschichte des Animationsfilms gewissermaßen aus der Erwachsenenperspektive gemacht. Er schreibt im Vorwort: „Jahrelang funktionierte die Aufgabenverteilung zwischen den Gattungen Spielfilm, Dokumentation und Animation ver-gleichsweise gut. Alle waren dramatischen Umbrüchen der Filmbranche wie der sie umgebenden Welt ausgesetzt und bewiesen die Fähigkeit, sich zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten immer wieder neu zu erfinden, ohne ihre Identität zu verlieren. Für den Animationsfilm bedeutete dies unter anderem eine Hinwendung zu allegorischen und satirischen Themen und die Beschäftigung mit moderner Ästhetik. (…) In dieser neuen und in vieler Hinsicht verwirrenden Situation, die von Teilen der Filmkritik immer noch ignoriert wird, findet der Animationsfilm sozu-sagen endlich zu sich selbst!“
Spannend und materialreich zeichnet Florian Schwebel diesen Weg der Selbstfindung des Animationsfilm nach: von Winsor McCays „Gertie the Dinosaur“(1914) bis zu „Ratatouille“ (2007) und „Waltz with Bashir“ (2008). Dazwischen macht er bei Lotte Reiniger ebenso Station wie bei Disneys Versuchen, Märchen für Erwachsene zu erzählen und mit Experimenten („Fantasia“) neue Welten zu erobern. Verdienstvoll der Blick des Autors auf die Referenzfilme des gegenwärtigen Animationsfilms. „Yellow Submarine“ gehört noch zu den bekannteren Arbeiten. Weitgehend in Vergessenheit geraten sind „Der phantastische Planet“ (René Laloux, 1973), „Allegro non Troppo“ (Bruno Bozetto, 1977) oder „Cool World“ ein spannender Mix aus Spiel- und Animationsszenen. Eine knappe, aber sorgsame Analyse japanischer Animes und der amerikanischen Auf- und Umbrüche der letzten Zeit runden dieses verdienstvolle Buch ab.