John Patrick Shanleys „Doubt/Zweifel“ am Alten Schauspielhaus Stuttgart
Ist bei einem Verdacht Handeln wichtiger als Abwarten? Diese Frage machte 2004 der amerikanische Dramatiker John Patrick Shanley zum Thema seines Theaterstücks „Doubt/Zweifel“. Nachdem er bereits als Drehbuch-Autor einen Oscar (1987 für „Moonstruck/Mondsüchtig“) bekommen hatte, wurde auch „Doubt“ mehrfach ausgezeichnet. Shanleys eigene Verfilmung des Stücks erwies sich 2008 trotz Oscar-Nominierung als Flop. Nach dem Aachener Theater im Dezember wagte sich jetzt das „Alte Schauspielhaus“ in Stuttgart an eine Neuinterpre-tation des Stücks, das als schwierig zu inszenieren gilt:
Schwester Aloysius ist nicht nur streng im Glauben, sondern auch sich selbst gegenüber und gegenüber ihren Mitmenschen. Mit eiserner Hand leitet sie die Schule St. Nicholas in der Bronx. Mit Argwohn betrachtet Aloysius die Versuche ihrer jüngeren Mitschwester James, den Schulall-tag ein wenig zu liberalisieren. Es kommt zu Vorhaltungen: Schwester James reagiert zuerst verletzt, dann lenkt sie die Aufmerksamkeit ihrer Chefin auf Pater Flynn, neu und einziger Mann im Kollegium von St. Nicholas. Bei den Schülern ist er äußerst beliebt. James hat einige interessante Beobachtungen gemacht, die Pater Flynns Beziehungen zu Donald Miller betreffen, dem ersten und einzigen farbigen Schüler der Schule: Obwohl ihr handfeste Beweise fehlen, lässt Schwester Aloysius nichts unversucht, um Pater Flynn der Unzucht mit Donald Miller zu überführen: John Patrick Shanley hatte mit seinem Stück „Doubt/Zweifel“ 2004 nach der Uraufführung am Broadway großen Erfolg. Vier Jahre später durfte er es sogar selbst verfilmen: prominent besetzt mit Meryl Streep als Schwester Aloysius und Philipp Seymour Hoffman als Pater Flynn.
Das Ergebnis war ein künstlerischer Reinfall, der in der Bundesrepublik unter dem unglücklichen deutschen Titel „Glaubensfrage“ in den Kinos nur ein kurzes Gastspiel gab. Bestenfalls interessant als Beispiel dafür, dass ein Stück, dass seine Spannung ausschließlich aus der Textinterpretation bezieht, auf der Theaterbühne besser ausgehoben ist, als auf der Leinwand Harald Demmer hat Shanleys „Zweifel“ am Alten Schauspielhaus in Stuttgart mit bemerkenswerter Stringenz auf einer nahezu kahlen Bühne inszeniert hat. Waberte der Zweifel, der Frust und der Geist der Denunziation bei der Verfilmung bedeutungsschwanger durch die biedere Inszenierung, um die Angelegenheit schließlich im Vagen hängen zu lassen, kommt Demmers unmissverständlich auf den Punkt: Sein Pater Flynn ist nicht unschuldig. Die Inszenierung damit ganz aktuell! Wolfgang Seidenberg spielt Flynn beklemmend authentisch. Hält einem Vergleich mit Philipp Seymour Hoffmann mühelos stand. Die deutsch-türkische Schau-spielerin Renan Demirkan als Aloysius hat mehr zu bieten als Meryl Streep. Die vielseitige Künstlerin macht aus dem literarisch wie dramaturgisch bisweilen holprigen Stück großes Theater. Die neue Stuttgarter Inszenierung von John Patrick Shanleys „Zweifel“ überzeugt in jeder Beziehung. Umschifft intelligent die Untiefen des Stücks, an der der Autor selbst bei seiner Verfilmung gescheitert ist.
Hier die Besprechung im „Journal am Mittag“ am 5. 2. 10:
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ZWEIFEL im „Alten Schauspielhaus Stuttgart“ – Täglich (außer Sonntags) 20 Uhr – Am So. 27.2.2010 auch um 16 Uhr.