Es hat verhältnismäßig lange gedauert, bis die ARD ihre Archive geöffnet und „Tatort“- Folgen zur Veröffentlichung auf DVD freigegeben hat. Inzwischen fällt es schwer, bei der “Tatort”-Edition, die über Walt Disney Home Entertainment vertrieben wird, den Überblick zu behalten. Angesichts der Vielzahl verschiedener Boxen und Einzelveröffentlichungen lässt sich keine Konzeption ausmachen. Neben den Preziosen der Reihe findet sich auch schlappe Dutzendware. Verpackt in bemerkenswert hässlichen Covern aus billigster Pappe. Auch kein Trost bei der bisweilen jämmerlichen technischen Qualität. Bei den Extras findet sich neben viel Spreu gelegentlich auch Weizen. Nach dem Motto:“ Besser als gar nichts“ ist die Veröffentlichung der Zeitgeiststücke vom Sonntagabend insgesamt dann doch wieder verdienstvoll.
Mit Horst Schimanski – alias Götz George – erlebte in den 1980er Jahren nicht nur die „Tatort“-Reihe eine neue Blüte, sondern der Schauspieler den Höhepunkt seiner Karriere. Auf DVD sind Schimi-Tatort-Krimis in diversen Ausgaben zu haben. Nach der ersten Box mit vier Folgen (der neuen ARD-Reihe), die zu Weihnachten erschienen ist, wurde jetzt die „Schimanski-Box“ Nr. 2 nachgeschoben. Sie enthält drei Krimis, die zwischen 1984 und 1988 gedreht wurden. Die Folge „Zweierlei Blut“(1984) war besonders typisch für die Duisburg-Tatorte. Zum ersten Mal im Deutschen Fernsehen wurde das Problem gewaltbereiter Fußballfans in einer Spielfilm-Handlung thematisiert. Das Drehbuch schrieben mit Felix Huby und Fred Breinersdorfer zwei Profis für anspruchsvolle Unterhaltung.
Hajo Gies, damals Stamm-Regisseur für Schimanski, hat das gesell-schaftskritische Stück ansehnlich inszeniert und damit wesentlich zum weiteren Erfolg der „Tatort“-Reihe beigetragen.
Zum Phänomen „Tatort“ ist übrigens eben die erste medienwissenschaftliche Untersuchung im Schüren Verlag erschienen. Der Titel „Tatort – Ein populäres Medium als kultureller Speicher“. Der Autor Dennis Gräf schreibt:
„Ein fundamentaler Wandel allein in film-und figurenästhetischer Hinsicht findet durch die Einführung der Ermittlerfigur Horst Schimanski statt. (…) Er repräsentiert eine Form des neuen Erzählens im Format der Kriminalreihe, wobei gängigere und weniger sperrige Erzählformen durchaus präsent bleiben.“
Davon ist die Tatort-Folge „Spielverderber“ von 1987 etwas entfernt: Es geht um dubiose Verbindungen des BKA zum internationalen Waffen-handel. An diesem Film zeigen sich bereits die ersten Verschleißerscheinungen der Kunstfigur Schimanski. Die darstellerischen Leistungen Georges und Eberhard Feiks wirken müde. Trotz der interessanten Geschichte (Drehbuch Felix Huby) rettet sich Regisseur Pete Ariel von Durchhänger zu Durchhänger über die Runden.
Ein Eindruck, der sich bei Film Nummer 3 der Schimanski-Box noch verstärkt: „Gebrochene Blüten“ von 1988. Es geht um Menschenhandel: der Besitzer einer Duisburger Tanzschule wurde ermordet, seine Gattin gerät in Verdacht. Hajo Gies zog wieder alle Register des Schmuddelkommissars Schimanski. Doch der spielt in diesem Film nur eine nachgeordnete Rolle. Was die „Gebrochene Blüte“ heute noch sehenswert macht ist nicht Götz George, sondern Renate Krössner als dubiose Tanzlehrerin.
Die Schauspielerin war durch ihre Titelrolle in Konrad Wolfs „Solo Sunny“ zu internationalen Ehren gekommen und deshalb bei den DDR-Kulturbürokraten in Ungnade gefallen. Ihre Kunst adelt diesen „Tatort“ und lässt sogar Dieter Bohlens unsäglichen Soundtrack vergessen.
Die Zeiten änderten sich einmal wieder für den „Tatort“: Ab Mitte der 1990er Jahre sind nicht mehr die starken Männer, sondern die starken Frauen von der Mordkommission gefragt: Seit 1997 schickt Radio Bremen Inga Lürsen – gespielt von Sabine Postel – auf Mörder-jagt. Drei besonders gelungene „Lürsen-Tatorte“ gibt es jetzt in einer DVD-Box:
„Brandwunden“ ist einer der frühesten Lürsen-Krimis aus dem Jahr 1998. Ein Film der auf dünnem dramaturgischem Eis balanciert: steckt Fremdenfeindlichkeit oder Versicherungsbetrug hinter dem Brand eines von Türken bewohnten Hauses? Die Nüchternheit mit der hier Polizeialltag beschrieben wird, zeichnet „Brandwunden“ aus. Mit „Der schwarze Troll“ befindet sich einer der besten „Tatorte“ überhaupt in dieser Box: Die Krimi-Autorin Thea Dorn schrieb das Drehbuch, Regie führte mit Vanessa Jopp eine der besten Regisseurinnen des gegenwärtigen deutschen Films. An der Kamera war Judith Kaufmann.
Wie aus einem Totschlag ein komplexer Fall wird haben Thea Dorn und Vanessa Jopp in „Der schwarze Troll“ nach klassischer Manier entwickelt. Dabei ist es ihnen gelungen ein komplexes psychiatrisches Krankheitsbild wie das „Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom“ ohne spekulative Zwischentöne in die Handlung zu integrieren. Bereits ein Jahr vorher hatte Thorsten Näter mit seinem Lürsen-Tatort „Schatten“ Furore gemacht – dem dritten Film in dieser Box:
Es sind die Schatten der Vergangenheit, mit denen sich Inga Lürsen in diesem Fall zu beschäftigen hat. Beiläufig und dabei dramaturgisch sehr geschickt nimmt dieser „Tatort“-Krimi die Nachwirkungen des 70er Jahre-Terrorismus auf. Das macht „Schatten“ von Torsten Näter ebenfalls zu einem typischen Beispiel für diese Krimi-Reihe und erklärt, warum der „Tatort“ am Sonntagabend so unverwüstlich ist.
Wer die Folgen immer griffbereit im DVD-Regal haben möchte, für den gibt es jetzt zwei neue Boxen mit jeweils drei DVDs: die „Schimanski Box 2“ mit Filmen die schon etwas Patina angesetzt haben und die „Lürsen-Box“ mit echten Highlights der Reihe. Preis pro Box rund 26 Euro. Wer sich wissenschaftlich mit dem Tatort beschäftigen möchte, sollte das Buch „Tatort. Ein populäres Medium als kultureller Speicher“ von Dennis Gräf zur Hand nehmen. Es ist im Schüren Verlag erschienen und kostet 29.90 Euro