So richtig populär sind japanische Animationsfilm – Animes – hierzulande immer noch nicht. Eher subkutan wird die Fangemeinde bedient – sogar mit einer eigenen deutschsprachigen Zeitschrift („Animania“). Die Schlüsselwerke des Genres sind auf DVD verfügbar – in besonders schönen Editionen: die Werke der von Isao Takahata („Die letzten Glühwürmchen“, 1988 oder „Pom Poko“, 1994) oder Hayao Miyazaki („Chihiros Reise ins Zauberland, 2001) von Universum.
Bei KAZE sind eben zwei Schlüsselwerke des modernen Animes von Makoto Shinkai erschienen: „The voices of a distant star“ (2002) und „5 Centimeters per second“ (2007). Die edel ausgestattete Doppel-DVD-Box enthält im Bonusteil neben Interviews mit Shinkai und Kenji Mizuhashi, „She and her cat“, ein Frühwerk des Regisseurs. Außerdem ein bibliophil gestaltetes Booklet. Shinkai erläutert hier unter anderem seine Absicht bei „5 Centimeters per second“:
„Der Film will nur zeigen, wie sich die Beziehung zwischen einem normalen Mann und einer normalen Frau, die in derselben Gesellschaft leben wie wir, im Laufe der Zeit und mit zunehmender Distanz zuein-ander verändert. Dieser Anspruch kommt schon im Titel „5 Centimeters per second“ zum Ausdruck, der ja einfach nur eine Geschwindigkeit beschreibt. Aber die Gefühle, die sich durch all meine Filme ziehen, haben eine gemeinsame Grundlage: Ich möchte mit Hilfe des animierten Films eine einfache, aufrichtige Geschichte erzählen!“
Dafür fand Makoto Shinkai einen hochpoetischen Ausdruck, der vergessen lässt, dass es sich bei dem, aus drei Episoden bestehenden Films um das Ergebnis von Computer-Animationen handelt. Das Booklett gibt einen Einblick in die Arbeitsweise des Regisseurs. Häufig benutzt er reale Hintergründe, die er anschließend digital verfremdet. Dadurch bekommen seine Filme etwas Reales und Irreales zugleich. Ohne das er damit an dem puren äußeren Effekt hängen bleiben würde. Er versteht es so, seine „einfachen“ Geschichten gewissermaßen in einem Schwebezustand zu halten.
Die Episoden von „5 Centimetres per second“ erzählen von den magischen Momenten am Beginn einer großen Liebe; gleichzeitig aber auch von den verpassten Gelegenheiten, ihrem Nachhall. Die feinen Zwischentöne lassen sich nirgends besser zu fassen bekommen, als in der Kunst der Animes.
Mamoru Hosoda gehört zur selben Generation wie Makoto Shinkai. Bisher nur Kennern der japanischen Anime-Szene bekannt, hat AV Visionen Hosodas neuen Film „Summer Wars“ sogar in den deutschen Kinos gestartet. Die Zukunft ist die Gegenwart oder umgekehrt.
In der Stadt Oz läuft das Leben vorwiegend virtuell aber. Damit die schöne neue digitale Welt reibungslos funktioniert, sind alle Einwohner aufgefordert am Support mitzuarbeiten. Für Kenji ist es deshalb selbstverständlich, in den Ferien als Netzwerkarbeiter zur Verfügung zu stehen. Da machen ausgerechnet seine Avatare Ärger – in ihre Programmierung stimmt etwas nicht. Kaum hat sich der Junge von dem Schrecken erholt, stellt er fest, dass er seiner Freundin als quasi menschlicher Avatar dient, um die Oma an ihrem Geburtstag zu erfreuen.
Raffiniert benutzte Hosoda in „Summer Wars“ die Versatzstücke aus der digital animierten Werbung und der Computer-Games zur Beschreibung einer Welt, die aus den Fugen gerät. Ein lächerlich banaler Programmierfehler droht sich zur globalen Krise auszuweiten. Die Familien-tradition ist dem längst nicht mehr gewachsen. Aber auf dem Weg zu neuen virtuellen Ufern wird die Welt neu familiär vermessen…
In einem anderen filmischen Genre wäre daraus ein Horrorfilm geworden, Hosadas Kunst des Animes machte daraus eine lakonische Abrechnung mit einem grenzenlosen Fortschrittglauben. Alles ist endlich – auch der PC! Allerdings erlaubt der PC einen derart virtuosen Umgang mit den digitalen Möglichkeiten, wie bei diesem Film…
Mitte September kommt mit „Ponyo“ der neusete Film des Großmeisters in diesem Metier, Hayao Miyazaki, in unsere Kinos. Auf seine einzigartig wundersame Art hat er hier Andersens Märchen von der kleinen Seejungfrau frei adaptiert:
Ponyo möchte kein Goldfisch mehr sein, sondern Mensch werden. Das versucht ihr Vater, ein Magier, mit allen Kräften zu verhindern. Er weiß um die Schattenseiten der menschlichen Natur. Doch die Kleine lässt sich davon nicht abschrecken – zumal sie einen Menschenjungen kennen gelernt hat. Der heißt Sosuke und ist mit seinem Leben als Sohn einer allein erziehenden Mutter alles andere als glücklich. Die Emanzipation der Jungen von den Alten ist mit beträchtlichen Turbulenzen verbunden.
Letztlich ist die Veränderung der Verhältnisse aber nicht aufzuhalten. Miyazaki blieb bei „Ponyo“ nach „Chihiros Reise ins Zauberland“ (2001) und „Das wandelnde Schloss“ (2004) bei seinem Generalthema, dem brüchigen Generationenvertrag – in klassischer 2-D-Zeichentricktechnik. „Ponyo“ ist einer der schönsten Filme dieses Jahres. Es lohnt sich also, auch auf Animes Obacht zu geben!