Ein unverstellter Blick auf die ungesellschaftliche Wirklichkeit gehört zu den Vorzügen des neuen Lateinamerikanischen Films. Dabei ist dieser Blick gelegentlich voller Schmerz und das Ergebnis alles andere als erfreulich. Aber die Verhältnisse an den Rändern der aus den Fugen geratenen Metropolen Südamerikas sind es auch nicht. Erstes Beispiel Argentinien: Esteban hat es bisher in seiner kriminellen Karriere in Buenos Aires nicht weit gebracht. Immerhin hat er eine Marktlücke gefunden, indem er sich auf den Diebstahl von Taxis spezialisiert hat.
Er ist nicht nur ein Dieb. In seinem Innersten träumt er von einer bürgerlichen Existenz – als Taxifahrer. Deshalb gönnt er sich nach dem Klau des Taxis ein paar Stunden der Muße, bis er den Wagen zum Hehler bringt: Er so tut als sei er ganz normaler Taxifahrer. Davon handelt „Taxi“ das weltweit ausgezeichnete Debut der Argentinischen Filmemacherin Gabriela David.
Doch dann gibt es ungeahnte Komplikationen: ein schwer verletztes Mädchen steigt zu Esteban ins Taxi. Weil der Wagen gestohlen ist, bringt er Laura, so heißt das Mädchen, nicht in ein Krankenhaus, sondern in seine Wohnung. Mit Hilfe seines Vaters kann Esteban Laura retten.
Mit „Taxi“ ist Gabriela David 2001 ein Schlüsselfilm des neuen Latein-amerikanischen Kinos gelungen. Ein dokumentarisch anmutender Film, der fast ausschließlich nachts spielt. Über eine Schattenwelt, in der gut und böse nahtlos in einander übergehen. Hoffnungen überflüssiger Luxus geworden sind. Das „Evangelische Zentrum für entwicklungs-bezogene Filmarbeit – EZEF“ hat „Taxi – Eine Nacht in Buenos Aires“ in einer sehr schönen DVD-Edition veröffentlicht. Zum Film in der unter-titelten Originalfassung gibt es reichlich Extras: Ein Interview mit der Regisseurin, Making of, Trailer, einen umfangreichen CD-Rom-Teil und den gesamten Soundtrack.
Auf andere Weise stilbildend und dabei enorm erfolgreich war der brasilianische Regisseur Fernando Meirelles 2002 mit seinem semi-dokumentarischen Spielfilm über Jugendbanden in einer Favela in Rio de Janeiro „City of God“. Nach dem internationalen Erfolg schloss sich daran eine Serie für das brasilianische Fernsehen „City of Men“ an. Auf dieser Basis realisierte Paolo Morelli einen gleichnamigen Spielfilm, der von Meirelles produziert wurde.
Zwei Freunde in einem der ärmsten Viertel Rios haben nicht viel mehr als ihre Solidarität: Während der eine Vater wird, ist der andere auf der schier aussichtslosen Suche nach seinem Vater, den er nie kennen ge-lernt hat.
Doch das Private rückt in den Hintergrund, als in der Favela ein Krieg zwischen verfeindeten Drogenbanden ausbricht. Weil hier jeder Partei ist geraten die Freunde in eine schwierige Lage.Die Lage eskaliert. In der Brutalität und Hoffnungslosigkeit bleibt der letzte Rest von Menschen-würde auf der Strecke. Es brennt im realen, wie übertragenen Sinne.
Paolo Morelli rekapituliert in „City of Men“ nüchtern eine Gegengesell-schaft, für die Mord und Totschlag zum Alltag und damit zur Normalität gehört. Man merkt dem Film an, das er auf einer TV-Serie beruht und dadurch manche Charakterisierungen etwas flüchtig geraten sind. Aber wer sich die 16stündige – ebenfalls auf DVD erschiene – Serie ersparen möchte, ist mit der Kinoversion gut bedient. Es gibt sie in technisch ein-wandfreier Qualität von Kinowelt. Im Bonusteil ein Making of mit be-grenztem Informationsgehalt.
Im Vergleich zu „Perro come Perro/Hunde fressen Hunde“ des Kolumbianischen Regisseurs Carlos Moreno wirkt „City of Men“ wie eine Märchenstunde fürs Vorschulalter. Bei EuroVideo ist der erste Blockbuster aus Kolumbien als DVD-Premiere erschienen. Ein böser wütender Film, der drastisch das Wüten der Gangsterkartelle im Land aus der Innenperspektive zeigt.
Es geht um Geld, das einer der Gangsterbosse vermisst. Der Handlanger Victor hat es beiseite geschafft. Das er sich im System auskennt, weiß er, wie man Spuren verwischt. So kann auch seine Aufpasser täuschen. Aber die Chefs sind argwöhnisch geworden und drängen auf Klärung der Verhältnisse. Wenn es sein muss, mit brachialen Mitteln.
Technisch und inhaltlich brillant benutzte Carlos Moreno bei „Perro come Perro“ die Stilmittel des klassischen Gangsterfilms in Kombination mit dem authentischen Blick des neuen Lateinamerikanischen Films. Das Ergebnis ist ein verstörender Film, der trotz allem in keinem Moment in die Niederungen der Gewaltpornographie abgleitet. Dazu ist die Lage zu ernst und der Anspruch des Regisseurs entsprechend hoch.
Die Dreharbeiten in den Favelas der südamerikanischen Großstädte sind immer Risikoreich. Wobei mit Geld und digitalen Nachbearbeitungen ent-sprechende Probleme kalkulierbar sind. Anders bei investigativen Dokumentarfilmen wie „La Vida Loca“ des spanischen Regisseurs Christian Poveda. Einem authentischen Gegenstück zu dem Spielfilm „Sin Nombre“, der zur Zeit in den Kinos zu sehen ist. Auch in Povedas Film geht es um eine der gefährlichsten Jugendbanden El Salvadors, der „Mara 18“:
„La vida Loca“ ist einer der beklemmendsten Dokumentarfilme der letzten Zeit. Ein Film, der genau hinsieht und das Elend, das zur Gewalt führt, beim Namen nennt. Regisseur Poveda bezahlte dafür einen hohen Preis. Kurz nach Abschluss der Dreharbeiten ist er in El Salvador ermordet worden. Die DVD gibt es mit informativen Bonusteil von Ascot Elite.
Dazu die Sendung aus der Reihe SWRcont.ra DVD:
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