Mit dem Tod Josef Stalins am 5. März 1953 begann eine neue Ära in der Sowjetunion, die als „Tauwetter-Periode“ in die Geschichte eingegangen ist. Nikita Chrustschow war der neue starke Mann im Staate, der durchaus nicht uneigennützig eine Abkehr vom Personenkult und extrem repressiven Politik der Vergangenheit proklamierte. Unter Stalin mussten selbst ranghohe Parteifunktionäre um ihr Leben fürchten, die totale Kontrolle aller Lebensbereiche in der Sowjetunion war mit enormen Kosten verbunden und – nicht zuletzt – konnte Chrustschow mit seinem Kurswechsel von der eigenen Verstrickung in die Verbrechen der Stalin-Ära elegant ablenken. Die „Tauwetter-Periode“ gehört eine Lockerung der Zensur und eine gewisse Liberalisierung in allen Bereichen der Kultur – auch des Films. Es entstanden Meisterwerke, die sich den bisher staatlich verordneten Formalismus durch individuellen Stil ersetzten. Beim Berliner Label „Icestorm Entertainment“ die Schlüsselwerke aus der „Tauwetter-Periode“ auf DVD erschienen. Hier eine Auswahl:
Bei den Filmfestspielen von Cannes 1958 wurde die sowjetische Produktion „Die Kraniche ziehen“ als Sensation gefeiert und mit der Goldenen Palme ausgezeichnet. Ein künstlerischer Höhepunkt der „Tauwetterperiode“, der unter dem Titel „Wenn die Kraniche ziehen“ auch in den westdeutschen Kinos mit großer Publikumsresonanz zu sehen war.
Dem georgischen Regisseur Michail Kalatosow diente ein 1943 entstandenes Theaterstück als Grundlage seines Films: eine bittere Drecksgeschichte vor zeitgeschichtlichem Hintergrund: Weronika und Boris sind ein Paar. Seelenverwandte. Sie scheinen für einander bestimmt zu sein. Doch dann beginnt mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion der Krieg. Entgegen seinem Versprechen, meldet sich Boris freiwillig an die Front…
Weronika bleibt keine Zeit, den Vertrauensbruch zu betrauern. Bei einem Bombenangriff werden ihre Eltern getötet und ihr Zuhause zerstört. Boris wohlhabender Familie nehmen sie. Sein jüngerer Bruder Mark ist als talentierter Musiker vorerst vom Kriegsdienst zurück gestellt worden. Er hat Weronika immer schon den Hof gemacht. In den Schrecken des Krieges kommen sich Weronika und Mark näher. Obwohl sie nicht weiß, dass Boris gefallen ist, willigt Weronika mit schlechtem Gewissen schließlich ein, Mark zu heiraten.
Weronika wird als Krankenschwester in einem Lazarett Zeuge des Leids eines Soldaten, dessen Geliebte in seiner Abwesenheit einen anderen geheiratet hat. In ihrer Verzweiflung versucht sie sich umzu-bringen. Doch das Schicksal hat etwas Anderes mit ihr vor…
Regisseur Michail Kalatosow (Jahrgang 1903) war seit 1925 im Filmgeschäft. Wobei er immer wieder mit der Zensur in Konflikt geriet. Nahezu sein gesamtes Frühwerk wurde verboten, er selbst über lange Zeit kalt gestellt. Anschließend machte er in der Verwaltungsbürokratie Karriere, stieg nach dem Krieg sogar zum stellvertretenden Minister für Filmproduktion in der Sowjetunion auf. Ab 1950 begann Kalatosow wieder als Regisseur zu arbeiten. Mit „Die Kraniche ziehen“ sollte er 1958 sein Meisterwerk und den wichtigsten Film der „Tauwetter-Periode“ drehen. Einen kompromisslosen Antikriegsfilm, der immer noch durch seine genaue Beschreibung der Verhältnisse und eine zeitlos modere Machart überzeugt. Es gibt „Die Kraniche ziehen“ in annehmbarer technischer Qualität auf DVD von Icestorm Entertainment. Allerdings nur in der deutschen Defa-Fassung. In der Weronika bzw. die Schauspielerin Tatjana Samoilowa allerdings von Eva-Maria Hagen gesprochen wird. Mit knapp 8 Euro eine preisewerte Edition.
Wer mehr ausgeben möchte, findet den Film digital remastered in einer edlen Ausgabe in der amerikanischen „Criterion Collection“ als Import für rund 25 Euro.
Der autobiographische Roman „Wie der Stahl gehärtet wurde“ von Nikolai Ostrowski ist als eines der wichtigsten Beispiele des „Sozialistischen Realismus“ in die Literaturgeschichte eingegangen. 1934 zum ersten Mal erschienen, wurde die Entwicklungsgeschichte eines renitenten jungen Mannes zu einem opferbereiten Mitglied der sozialistischen Gesellschaft zu einem Longseller in allen Staaten des Ostblocks; in der DDR eines der seltenen Bücher, die immer lieferbar waren – bis zur „Wende“. „Wie der Stahl gehärtet wurde“ ist mehrfach verfilmt worden. Die Moral wurde dabei den jeweiligen politischen Verhältnissen angepasst – auch während der „Tauwetter-Periode“.
Die beiden damaligen Nachwuchsregisseure Alexander Atow und Wladimir Naumow inszenierten die literarische Vorlage um den Vorzeigekommunisten Pawel Kortschagin 1956 als rasanten Abenteuerfilm mit verhalten melodramatischen Untertönen. Nicht zu überhören dabei, die Sehnsucht des Helden nach Freiheit und Selbstbestimmung.
Heute wirkt diese Version von „Wie der Stahl gehärtet wurde“ trotz des martialischen Titels als nachdenklicher Zeitgeistfilm, in dessen Mittelpunkt die Frage steht, ob es sich tatsächlich lohnt, für eine Staatsdoktrin Leib und Leben zu opfern. Leider nur in einer technisch sehr schlichten Edition ist der interessante Film ebenfalls von Icestorm auf DVD veröffentlicht worden.
Obwohl sich Melechow nichts mehr wünscht, als in Frieden zu leben, gerät er in die Wirren der Oktoberrevolution und ihren bürgerkriegsähnlichen Folgen. Er findet zwar schließlich zu seinem sozialistischen Standpunkt, aber glücklich wird er damit nicht. Der russische Schriftsteller Michail Scholochow hat mit „Der stille Don“ 1928 einen der wichtigsten russischen Romane des 20. Jahrhunderts geschrieben, für den er 1965 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Obwohl bis heute Zweifel bestehen, ob Scholochow tatsächlich der Autor oder das Werk ein Plagiat ist. Davon unbeeindruckt entstand 1958 eine monumentale Verfilmung in drei Teilen von Sergei Gerassimov. Es war die zweite Adaption. Eine TV-Produktion als siebenteilige Serie sollte 1992 folgen.
Mit seinem „Stillen Don“ ist Gerassimow eine stilbildende Literaturverfilmung gelungen, die auf westliche Produktionen wie „Doktor Schiwago“ großen Einfluss hatte. Immer noch ein imponierendes Werk mit seiner Dauer von insgesamt knapp sieben Stunden – und seiner verhaltenen Dramaturgie nah an der literarischen Vorlage. Technisch kann sich diese DVD sehen lassen – allerdings enthält sie auch nur die deutsche Defa-Synchronisation und keine Extras. Ebenso wie „Die Kraniche ziehen“ und „Wie der Stahl gehärtet wird“ gibt es diese nicht nur filmgeschichtlich, sondern auch kulturgeschichtlich interessanten Film für jeweils rund acht Euro von Icestorm Entertainment. Der epische „Stille Don“ kostet in der 3-Disc-Edition 19.95.