Eine neue Ära begann heute Abend in Solothurn: nach über zwei Jahrzehnten hat die Leitung gewechselt. Ivo Kummer ist in die Schweizer Filmförderung gewechselt. Das Direktorium der nach Locarno wichtigsten Schweizer Filmfestspiele übernahm Seraina Rohrer. In der Branche ist die 34jährige Filmwissenschaftlerin keine Unbekannte. Unter Anderem war sie lange Pressechefin in Locarno. Entsprechend souverän brachte sie die die Eröffnung der „47. Solothurner Filmtage“ über die Runden – dreisprachig, wie es sich in der Schweiz gehört.
Bereits im Vorfeld hatte Rohrer angekündigt, das sie sich in der Nach-folge Ivo Kummers sieht und keine grundsätzlichen Änderungen an Inhalten und der Konzeption vorhat. So ganz mag man ihr das nicht glauben.
Der langjährige Besucher spürt die „neue Zeit“ an kleinen, aber wesentlichen Details. Das etwas behäbige Festival ist schlanker ge-worden; hat an Charme gewonnen und ist sichtbar dabei, zum professionellen Standart ähnlicher Veranstaltungen im In-und Ausland aufzuschließen. Das „Lifting“ ist bereits bei der Ankunft spürbar.
Dazu soll die neue Sektion „Panorama Schweiz“ beitragen – als eine Art „Best of“ der letztjährigen Produktion. Eine (auch finanzielle) Lanze für den Ausbau der Schweizer Filmförderung brach die neue Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf in ihrem engagierten Grusswort. Die versammelt anwesende Filmcommunity des Landes wird es mit Wohlgefallen vernommen haben.
Dazu passte auch der Eröffnungsfilm. Nach längerer Schaffenspause präsentierte Xavier Koller die Welturaufführung von „Eine wen iig, dr Dällebach Kari“. Sein „Oscar“-Erfolg „Reise der Hoffnung“ ist über 20 Jahre her. Danach kam weniger Bedeutsames zwischen „Highway“ und „Schloss Gripsholm“. Auch das Biopic eines Berner Stadt-Originals wird nicht in die Analen der Filmgeschichte eingehen.
Äußerlich ein braves Fernsehspiel, bei dem man nicht so genau hinsehen darf. Da brennen zum Beispiel nächtens Kerzen, als seien sie Flammenwerfer… und ein Berner Stadtbrand zu befürchten. Das Werk hat freilich auch einige Pluspunkte. Dazu gehört, dass Koller den Film konsequent im Berner Dialekt gedreht hat: die Geschichte einer großen Liebe aus der Frühzeit des 20. Jahrhunderts, der gesellschaftliche Grenzen gesetzt werden, wirkt dadurch ungemein authentisch – ohne dabei ins Heimattümelnde abzurutschen: Das Mädchen aus gutem Hause und der einfache Friseur. Eine unmögliche Beziehung im großbürgerlichen Bern.
Der historische Karl Tellenbach („Dällebach Kari“) lebte von 1877 bis 1931. Er ist bereits mehrfach beschrieben worden und Anlaß für unzählige Witze und Anekdoten, in der seine sprichwörtliche Schlagfertigkeit weiterlebt. Xavier Kollers Film beruht auf einem der zahlreichen „Dällebach“-Theaterstücke. Kurt Früh hat bereits 1970 einen Film über ihn gedreht. Über den Mann, der trotz eines Handicaps, einer sogenannten „Hasenscharte“und allen damit verbundenen Widrigkeiten zum Trotz, sein Leben meisterte.
Bei Koller erinnert sich der alte Kari (Hanspeter Müller-Drossaart) mit Wehmut an die einzige Liebe seines Lebens (Carla Juri), die auf Anordnung ihrer Eltern einen Anderen heiraten musste. Den jungen Kari spielt Nils Althaus.
Die fulminanten Darsteller sind ein weiteres Plus von „Eine wen iig dr Dällebach Kari“. Ihre Kunst der Darstellung eines vom Schicksal mehrfach Geschlagenen, lässt das arg dürftige Drehbuch vergessen. Nils Althaus ist nicht nur der augenblicklich beste Schweizer Chansonier, sondern auch ein hochbegabter Schauspieler, der vielleicht gerade wegen des schwachen Buchs zeigen kann, was in ihm steckt.
Souverän wie immer meistert Hanspeter Müller-Drossaart seinen schwierigen Part des sterbenden Dällebach Kari, wobei ihm Koller Einiges zumutet. Die große Entdeckung des Films ist allerdings Carla Juri. Die 1985 geborene Schauspielerin verkörpert im besten Sinne des Wortes eine junge Frau, die Kari aufrichtig liebt; distanziert und dabei nuancenreich. Eine Fingerübung. Man darf auf ihre weitere Karriere gespannt sein.
Für die Eröffnung eines Filmfestivals war „Eine wen iig dr Dällebach Kari“ sicher keine schlechte Wahl – das Premierenpublikum in der vollbesetzten Solothurner „Reithalle“ spendete freundlichen Applaus…
Ab März ist „Eine wen iig, dr Dällebach Kari“ dann in den (Deutsch-)Schweizer Kinos zu sehen…
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