Deutschland 2011
Regie: Ulrich Köhler
Mit Pierre Bokma, Jean-Christophe Folly, Jenny Schily, Hippolyte Girardot
Kinostart: 23. Juni 2011
Ebbo und Vera Velten arbeiten seit Jahren in Afrika an der Erforschung der Schlafkrankeit. Heimisch sind die Beiden in der Fremde immer noch nicht geworden. In ihrer Ehe kriselt es. Am Zwiespalt zwischen Heimat-und Heimatlosigkeit leidet auch der junge französische Mediziner Alex, obwohl er afrikanische Wurzeln hat. In seinem dritten Spielfilm „Schlafkrankheit“ beschäftigt sich der deutsche Regisseur Ulrich Köhler mit Fremdheit und hat damit das Mittelstandsmilieu seiner ersten beiden Arbeiten „Bungalow“ und „Am Montag kommen die Fenster“ verlassen. Köhler gilt als einer der wichtigsten Vertreter der sogenannten „Berliner Schule“. Bei der diesjährigen Berlinale ist er für „Schlafkrankheit“ mit dem Silbernen Bären für die beste Regie ausgezeichnet worden.
Jetzt also Afrika: Nachdem es im „Bungalow“ wenig heimelig zugegangen ist und die Aussicht, dass Montag die Fenster kommen nur bedingt Trost spendete, braucht man in Kamerun darauf schon gar nicht erst zu warten: dabei sind die Tage für Ebbo (Pierre Bokma) und Vera Velten (Jenny Schily) in Afrika gezählt. Demnächst soll es nach zehn Jahren im Ausland, heim nach Wetzlar gehen.
Vor allem Vera zählt die Tage. Tochter Helen (Maria Elise Miller) ist zu einem letzten Besuch extra aus Deutschland angereist. Wann hat man schließlich einmal wieder Gelegenheit, zum preiswerten Urlaub in Kamerun. Helen lebt ansonsten in einem deutschen Internat.
Die emotionale Bindung der 14jährigen zu den Eltern ist folglich brüchig – insbesondere auf die väterliche Fürsorge reagiert sie allergisch. Also von Harmonie keine Spur – eher Anspannung, wie das mit dem Zusammenleben daheim in Zukunft gehen soll. Ein Freund Ebbos, der französische Geschäftsmann Gaspard (Hippolyte Girarrdot), sarkastisch spottet am Abend beim Chinesen und fragt in die Runde, wer sich denn Ebbo in einer deutschen Kleinstadt vorstellen könne.
Er soll recht behalten: im zweiten Teil von Ulrich Köhlers „Schlafkrankheit“ ist Ebbo in Kamerun geblieben. Vordergründig, um sein Forschungsprojekt zu Ende zu bringen. In Wirklichkeit, weil er sich vor der Rückkehr in den Schoß einer Familie fürchtet. Anderseits hat auch wieder von Afrika und Afrikanern die Nase voll.
Es kommt noch schlimmer: er hat eine junger Kamerunerin ge-schwängert, was zu allerhand zusätzlichen Kalamitäten führt. In dieses Dilemma wird der eben eingetroffene französische Mediziner mit kongolesischen Wurzeln Alex (Jean-Christophe Folly) involviert. Dabei hat er eigene Sorgen, als bekennender Schwuler. Das kann in Afrika lebensgefährlich sein.
Ohne die gewohnte Exotik des europäischen Blicks auf Afrika sezierte Ulrich Köhler in gewohnt distanzierter Manier die Ambivalenz von Fremdheit und Gewöhnung. Sein Personal in „Schlafkrankheit“ ist irgendwo dazwischen stecken geblieben. In einem Gefühlschaos so dunkel wie die afrikanischen Nächte. Im äußeren und inneren Gestrüpp taugen Taschenlampen nur bedingt.
Originell spielte Köhler mit ihrem schwachen Licht; im eng begrenzten Fokus der Lampen sieht man zwar einigermaßen klar, doch der weitere Weg bleibt im Dunkeln.
Das Spannungsfeld zwischen der Außen-zur Innenwelt macht einen wichtigen Teil dieses Films aus. Er erinnert in seinem absoluten Stilwillen weniger an den europäischen Film, sondern an die unsicheren Welten des Thailänders Apichatpong Weerasethakul. Insbesondere an dessen „Blissfully Yours“ und „Uncle Boonmee raluek chat“.
Der Vergleich gibt „Schlafkrankheit“ eine weitere interessante Dimension und etwas Globales. Verweist aber auch auf den sehr deutschen Begriff „Heimat“ und seine Verschleißerscheinungen in der Gegenwart multikultureller Gesellschaften. Ebbo der verkappte Romantiker muss die bittere Erfahrung machen, das die Suche nach der „Blauen Blume“ zumindest in dieser Welt ver-geblich ist. Tragischer Weise kann er im Gegensatz zu Weerasethakuls Onkel Boonmee nicht auf eine Reinkarnation oder ein gnädiges Jenseits hoffen. Dafür hält das Christentum nicht genügend Hilfen für den Sünder parat. Auch die „Schlaf-krankeit“ ist nur eine bedingte Lösung. Es besteht immer die Gefahr, irgendwann aufzuwachen…
Wer sich auf Ulrich Köhlers filmische Schnitzeljagd durch das Unterholz einlässt, wird am Ende um ungewohnte Erfahrungen reicher!
Dazu hier ein Gespräch mit dem Regisseur:[media id=211 width=320 height=20]
P.S. Wie Köhler im Interview sagt, war eine besondere Herausforderung bei „Schlafkrankheit“ für ihn, den Film in einer Fremdsprache zu drehen. Das war dem Farbfilm Verleih dann doch des Guten zu viel: er startete den Film vor allem in einer deutsch synchronierten Fassung. Dann und wann soll sich aber auch eine untertitelte Version in die Kino verirren… Also Obacht geben – ganz und gar eingedeutscht geht – wie immer – eine wichtige Dimension verloren!