„Erst von hier aus wieder, vom Gefühl der Bruderschaft und inneren Gleichheit aus, bekommt das Fremde, Verschiedene, bekommt die Buntheit der Länder und Menschen ihren innigsten und höchsten Reiz und Zauber“. Das notierte Hermann Hesse 1913 in seinem Rückblick auf seine Reise durch Südostasien. Vor allem Indien hatte es ihm angetan. Der Schriftsteller löste mit seinem1920 zum ersten Mal erschienen Roman „Siddhartha“ im Verein mit den zahlreichen Reiseberichten anderer Autoren im Deutschland der Weimarer Republik eine breite Indienbegeisterung aus. Davon wollte auch die junge Filmindustrie partizipieren. Kaum ein prominenter Regisseur, der zu Beginn der 1920er Jahre nicht einen Film exotisch-indischen Ambiente drehte. Höhepunkt war der monumentale Zweiteiler „Der Tiger von Eschnapur“ und „Das indische Grabmal“ von 1925. Einziger „Schönheitsfehler“ der Produktionen war, dass sie allesamt daheim in den Studios von Babelsberg gedreht wurden. Darin sah der junge Münchner Filmemacher Franz Osten die Chance seines Lebens. Er dreht mit indischen Partnern in Indien. Sein bekanntester Film „Schicksalswürfel“ ist in einer aufwendig restaurierten Fassung auf DVD erschienen. Der Klassiker zum ersten Mal wieder auf großer Leinwand im Rahmen des „10. Indischen Filmfestivals“ präsentiert. Der Stummfilm wird live von dem indischen Superstar Nishat Khan und seinem Ensemble begleitet.
Nishat Khan ist zurzeit der weltweit bedeutendste Sitar-Virtuose und gilt in Indien als legitimer Nachfolger von Ravi Shankar. Am Samstag-abend ist Khan in Stuttgart zu Gast und wird den Klassiker der indisch-deutschen Koproduktionsgeschichte „Schicksalswürfel“ musikalisch begleiten. Nachdem der vielseitige Künstler in der Vergangenheit unter anderem mit Philip Glass zusammengearbeitet hat und für seine Bach-Interpretationen mehrfach ausgezeichnet wurde, widmet er sich neuerdings auch der Filmmusik. Seine Live-Begleitung eines Stummfilms ist eine Premiere.
„Schicksalswürfel“ war bereits der dritte Film, den Franz Osten 1929 in Indien realisierte. Er hieß eigentlich Franz Ostermayer und kam aus einer angesehenen Münchner Fotografenfamilie.
Zusammen mit seinem Bruder Peter interessierte er sich früh für den Film. Mit einem eigenen Filmstudio im Münchner Vorort Geiselgasteig waren die Ostermayers nach dem ersten Weltkrieg mit einer Serie von Ludwig Ganghofer-Verfilmungen höchst erfolgreich. Sie legten das Fundament für die heutigen Bavaria-Ateliers. Ostermayers Aufstieg hatte sich sogar bis Indien herum gesprochen. 1920 nahm die indische Produktionsfirma „Bombay Talkies“ Kontakt mit den Ostermayrs auf. Während Peter lieber zu Hause in gesetzten Münchner Verhältnissen blieb, packte Bruder Franz sofort die Koffer und reiste nach Indien, wo er nichts weniger als das Leben Buddhas verfilmte: „Prem Sanyas – Die Leuchte Indiens“ war 1925 ein internationaler Erfolg.
Nachdem Osten zwischen durch in Deutschland das gefühlvolle Melodram „Die Villa im Tiergarten“ gedreht und dafür den Schauspieler Hans Albers entdeckt hatte, zog es ihn doch wieder nach Indien.
Mit „Schicksalswürfel“ hatte Franz Osten und sein indischer Koproduzent großes vor: die Verfilmung einer Episode aus dem indischen Nationalepos „Mahabbarata“. Zwei Könige drohen der Magie eines Würfels zu erliegen und damit dem Bösen. An Originalschauplätzen, mit über tausend Statisten und einem großem Team kombinierte hier Osten höchst raffiniert europäischen Exotismus mit indischem Lebensgefühl.
Nach der deutschen Premiere schrieb Lotte Eisner begeistert: „Der Film wird so im wahrsten Sinne zum Schau. Spiel. Das Schaumoment ist aus sich heraus da, herausgewachsen aus der für uns märchenhaften Welt des Ostens“.
Die „Schaumomente“ von „Schicksalswürfel“ haben die letzten 90 erstaunlich unbeschadet überstanden. Die restaurierte Fassung des Films ist von Rapid Eye Movies veröffentlicht worden. Dazu gibt es allerdings nicht mit der Musik von Nishat Khan, sondern von seinen Landsmanns Nitin Sawhney. Der Soundtrack wurde vom London Symphony Orchestra eingespielt.
Die bibliophil ausgestattete DVD-Edition von „Schicksalswürfel“ kostet 22 Euro. Karten für die Vorführung von „Schicksalswürfel“ am Samstag um 18.00 im Stuttgarter Kino „Metropol“ mit dem Sitar-Virtuosen Nishat Khan und seinem Ensemble gibt es im Vorverkauf für 17 Euro. Zu bestellen unter www.indisches-filmfestival.de.