Seit „4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“ von Cristian Mungiu 2007 in Cannes die Sensation des Festivals war und mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde, ist der Rumänische Film regelmäßig für Über-raschungen gut. Im letzten Jahren waren Produktionen aus Rumänien die großen Gewinner. Auch diesmal deutet sich etwas Ähnliches an. In einem durchweg interessanten Wettbewerb sind einmal mehr rumänische Produktionen die Highlights: Sie heißen „Crulic“ und „Best intentions“.
Am 13. Juli 2007 gerät der 33jährige Rumäne Claudiu Crulic auf Grund einer Verkettung unglücklicher Umstände in ein polnisches Gefängnis und in die Mühlen der Bürokratie. Sein Fall wird zwischen Warschau und Bukarest hin-und her geschoben. Niemand fühlt sich zuständig. Die eine Seite verlangt von der anderen eine Klärung der Aktenlage. Deshalb bekommt Crulic auch keinen Rechtsbeistand.
Er tritt verzweifelt in den Hungerstreik. Was an seiner Lage wenig ändert. Die rumänische Botschaft erklärt sich weiterhin für nicht zuständig. Als sich Crulics Gesundheitszustand dramatisch verschlimmert, wird er zu spät und unzureichend künstlich ernährt. Kurz darauf ist er tot. Erst jetzt kommt die Affäre an die Öffentlichkeit, die mit großer Betroffenheit reagiert. Die Kommentatoren erinnern an Kafka und das Schicksal des Josef K. im „Prozess“.
„Crulic“ heißt der Film der rumänischen Regisseurin Anca Damian, der Anfang der Woche bei den Filmfestspielen von Locarno urauf-geführt wurde und als Favorit für den „Goldenen Leoparden“ gilt. „Crulic“ ist formal ein Animationsfilm und mehr als das. Ähnlich wie vor einiger Zeit mit „Waltz with Bashir“ wurde hier dem Genre eine neue Dimension erschlossen – durch die Verbindung mit dem Dokumentarfilm. Damian ging noch einen Schritt weiter, sie rekonstruierte die Passionsgeschichte des Claudiu Crulic nicht nur mit dem Zeichenstift, sondern mit Collagen, Fotographien und Videos. Ein neuer filmischer Kosmos, wie es der künstlerische Leiter des Festival del Film Locarno, Olivier Pére, ausdrückt:
„Dieser Film eröffnet dem Medium eine neue Dimension; er zeigt uns welche unendlichen Möglichkeiten hier schlummern. Wie sich die Grenzen zwischen Dokumentation und Spielfilm, aber auch zwischen Darstellender Kunst, Video-Art, Fotografie und Musik in völlig neuen Dimensionen verbinden lassen.“
Auf den ersten Blick weniger spektakulär, bei näherem Hinsehen aber ebenfalls eine imponierend innovativer Film aus Rumänien ist „Best intention/Beste Absichten“ von Adrian Sitaru :
Alex, Anfang 30, erhält die Nachricht, das seine Mutter mit einem Schlaganfall in ein Provinzkrankenhaus eingeliefert wurde. Völlig hysterisch reist der Sohn hin und bringt alle in seiner Umgebung ebenso wie sich selbst an den Rand des Nervenzusammenbruchs. Zwingend in Inhalt und Form beschreibt dieser Film eine Gesellschaft, die sich nach einer Katastrophe noch nicht wiedergefunden hat. Ein weiteres Musterbeispiel für den rumänischen Film Nach-Ceausescu-Ära dieses Jahr in Locarno:
„Der rumänische Film ist gegenwärtig Weltspitze. In Europa unangefochten die Nummer Eins. Jedes Jahr sind neue hochtalentierte Regisseure mit ihren Meisterwerken zu entdecken. Das hat es in dieser Form schon lange nicht mehr gegeben…“ (Olivier Pére).
Es ist also höchste Zeit, dass auch auf deutschen Leinwänden – und nicht nur im Spätprogramm von arte – das rumänische Filmwunder zur Kenntnis genommen wird. Seit „4 Monate…“ war da nicht mehr viel zu sehen. Die spannenden Entdeckungen darf man sich einfach nicht entgehen lassen!