Von Rolf Aurich, Niels Beckenbach, Wolfgang Jacobsen
329 Seiten mit Abb.
ISBN 978-3-86916-068-9
Verlag edition text+kritik
€29.80
Herbert Reinecker (1914-2007) war der mit Abstand erfolgreichste deutsche Drehbuchautor nach dem Zweiten Weltkrieg. Er lieferte das Script für Lustspiele (z. B. „Vater braucht eine Frau“, 1952) ebenso wie für Trauerarbeiten (z. B. „Kinder, Mütter und ein General“, 1955). Wenn es um solides kinematographisches Handwerk ging, war unter Garantie Reinecker mit von der Partie: ob „An heiligen Wassern“, „Dorothea Angermann“ oder „Schachnovelle“. Bei letztgenannten Filmen arbeitete Reinecker mit den Remigranten Robert Siodmak und Gerd Oswald zusammen. Die hätten vermutlich von einer Zusammenarbeit Abstand genommen, hätten sie gewusst, dass sie es mit einem ehemaligen Oberscharführer der SS zu tun haben.
Der „Vater“ von TV-Longsellern wie „Der Kommissar“, „Derrick“ und „Das Traumschiff“ hatte eine dunkle, d. h. tiefbraune Vergangenheit. Darüber geben Rolf Aurich, Niels Beckenbach und Wolfgang Jacobsen in ihrem Buch „Reineckerland – Der Schriftsteller Herbert Reinecker“ Aufschluss.
Reinecker wächst als Sohn eines Eisenbahners in schlichten Verhältnissen auf, hatte schon früh literarische Ambitionen. Bereits 1932 wird er Mitglied der Hitler-Jugend und übernimmt kurz darauf die „Schriftleitung“ der regionalen HJ-Verbandszeitschrift „Unsere Fahne“.
Dem NS-Regimes ganz und gar ergeben, macht der junge Reinecker eine steile Karriere: in Berlin; wird er Mitglied der Propagandaabteilung der „Reichsjugendführung“ und gehört damit zur Elite jener, die für die faschistische Indoktrination von Kindern und Jugendlichen zuständig sind.
Mit Beginn des Krieges ist der SS-Mann Reinecker in vorderster Propagandafront dabei. In „Das schwarze Korps“ schreibt er 1941:
„Ein Wald in Karelien, Unterholz, Gebüsch, freies Schussfeld. ‚Wumm‘. Dann stürmen sie vor, raus aus ihrer Deckung, der Granatwerfer blafft, der gegnerische Bunker wird genommen, am Leben lassen sie keinen….“
Von der Lust zu Töten schwärmt Herbert Reinecker in dieser Zeit gerne, zumal es dabei um die „Beseitigung von Untermenschen“ geht. Die Autoren von „Reineckerland“ stellen dazu fest:
„Der Erzähler überhöht das Kampfgeschehen. Das Töten. es macht ‚pitsch‘ und ’wumm‘. Das verstehen auch Kinder. Wen’s trifft, der braucht keine Hilfe mehr. Träumen kennt nur ein Ziel: den Gegner zu töten. Davon spricht man nicht. Das tut der ‚deutsche Soldat‘. Der Krieg, von dem Herbert Reinecker schreibt, er ist ein schönes Spiel.“ Als es dann mit dem „schönen Spiel“ vorbei war, verstand es Reinecker gewandt, sich der Entnazifizierung zu entziehen. Er ging einfach nicht hin. Bis zu seinem Tod schwieg er zu seiner Mitgliedschaft in der SS und seiner geistigen Mittäterschaft an den NS-Verbrechen. Davon ist auch in seiner Autobiographie keine Rede. Reinecker äußert sich dazu bestenfalls indirekt nebulös. Aurich/Beckenbach/Jacobsen zitieren aus Reineckers Adaption von Hauptmanns Theaterstück „Dorothea Angermann“, in der es (ergänzend zur Vorlage) heißt: „Wir alle wissen von einander, alles, was wir wissen, hat einen dunklen Kern. Den dunklen Kern unserer Geschichte.“
Die Autoren von „Reineckerland“ sehen allerdings in der „Erfahrung des Krieges und, davon nicht zu trennen, das Wissen um den Mord an den europäischen Juden in deutschem Namen die Kernelemente der (…) seelischen Verstörung von Herbert Reinecker“.
Wie eine ganze Generation mit ihm, verstand er es, diese „Verstörung“ geschickt zu kaschieren. Das macht dann auch die Bedeutung dieses Buches aus: an einer exemplarischen Biographie wird hier dargestellt, auf welch breiter Basis das NS-Regime stand und wie diese Geisteshaltung in der frühen Bundesrepublik fortwirkte: „Eine dunkle Spur eines absichtsvollen Schweigens zieht sich durch alle Veröffentlichungen Reineckers. Statt eines nüchternen Gedankens formuliert er statuenhaftes Raunen“, steht an anderer Stelle von „Reineckerland“.
Da erstaunt es nicht weiter, dass der Bestseller-Autor auch zu den Seilschaften alter und neuer Nazis Verbindungen hatte. Allerdings in vorsichtigem Taktieren, ohne in irgendeinen Sumpf zu geraten. Der klare analytische Blick der renommierten Filmhistoriker in Verbindung mit ihrer Gabe, ausgezeichnet formulieren zu können, machen „Reineckerland“ zu einem Ereignis innerhalb der deutschen Filmgeschichtsschreibung.
Gerade an den Nahtstellen zwischen Nationalsozialismus und Nachkriegsdeutschland gibt es beträchtlichen Nachholbedarf. Etwa was die Biographien von Wolfgang Liebeneiner, Fritz Sauckel oder Heinz Rühmann betrifft.
Rolf Aurich, Niels Beckenbach und Wolfgang Jacobsen weisen mit ihrem Standardwerk den Weg. An ihrem Buch zeigt sich, dass es dazu eines langen Atems bei der Recherche bedarf. Desgleichen bei der anschließenden Umsetzung in eine lesbare Form. Da muss man sich schon anstrengen, um bei ihrem Niveau mithalten zu können!
Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen im Gespräch: [media id=221 width=320 height=20]
Andrea
Lieber Herbert Spaich,
machen Sie doch bitte aus „TV-Lonsellern“ (2. Absatz) mit Hilfe eines g an der richtigen Stelle das richtige Wort und aus „Standartwerk“ (letzter Absatz) ein regelrechtes Standardwerk!
Merci
herbertspaich
Vielen Dank! Schon geändert! Bei einem „Einmann-Betrieb“ kann sowas leider passieren. Es mußte mal wieder schnell gehen!
Ihr
Herbert Spaich