Deutschland 2010
Regie: Chris Kraus
Mit Edgar Selge, Jeanette Hain, Tambet Tuisk, Richy Müller, Paula Beer
Kinostart: 3. Februar 2010
Mit seinem Gefängnisdrama „Vier Minuten“ gelang Christ Kraus 2006 einer der sowohl künstlerisch als auch kommerziell erfolgreichsten deutschen Filme der letzten Zeit. Drei Jahre hat der für seinen Perfektionismus bekannte Regisseur in Anlehnung an seine eigene Familiengeschichte seinen ersten historischen Film gedreht: „Poll“ basiert lose auf der Autobiografie sein Großtante, der Dichterin Oda Schaefer. Nach dem der mit Edgar Selge (Bayerischer Filmpreis 2011 – Bester Darsteller), Richy Müller, Jeanette Hain und der hochbegabten Nachwuchschauspielerin Paula Beer (Bayerischer Filmpreis 2011 – Nachwuchspreis) hochkarätig besetzte Film bereits auf mehreren Festivals (Rom, Talinn) ausgezeichnet wurde, startet er diese Woche in den deutschen Kinos.
Sommer 1914: die von Sierings bewohnen ein herrschaftliches Gut im Baltikum. Abends wird Hausmusik gemacht. Tagsüber versucht jeder auf seine Weise der lähmenden Langeweile zu entgehen. Mila (Jeanette Hain), die Dame des Hauses, döst oder lässt sich vom Verwalter Mechmers-hausen (Richy Müller) Avancen machen. Ihren Gatte Ebbo (Edgar Selge) stört das nicht sonderlich. Der Mediziner ist voll und ganz mit seinen anthropologischen Studien beschäftigt. Leidenschaftlich untersucht er die Beschaffenheit des menschlichen Körpers, insbesondere des Gehirns. Akribisch betreibt Ebbo seine anatomischen Studien im hauseignen Labor.
Er wird regelmäßig von zaristischen Soldaten mit den Leichen erschossener estnischer Rebellen versorgt. In Tochter Oda (Paula Beer) hat Ebbo eine interessierte Schülerin.
Odas Interesse an Vaters blutigen eugenischen Experimenten rückt in den Hintergrund, als sie einen verletzten estnischen Rebellen (Tambet Tuisk) entdeckt und auf dem Dachboden von Poll erst gesund pflegt und dann versteckt. Doch das ist der Anfang vom Ende nicht nur des Gutes Poll und seiner Bewohner, sondern einer ganzen Epoche….
„Kein Sommer sollte mir jemals wieder so prangend, so glühend und geheimnisvoll erscheinen, wie dieser letzte Sommer des Friedens, der schon unterhöhlt war von unterirdischen Knistern und Bersten, vom Grollen kommender Kriege und Revolutionen. Wenn ich das Wort Sommer denke ich zugleich Poll, das Gut auf dem Lande, das friedliche, still dahin gleitende Leben.“
Ein Ausschnitt aus den Lebenserinnerungen der Schriftstellerin Oda Schaefer „Auch wenn du träumst gehen die Uhren“. 1970 zum ersten Mal erschienen. Trotz mehrerer Auflagen ist das erstaunliche Buch inzwischen weitgehend in Vergessenheit geraten. Auf der Basis dieser Memoiren hat Chris Kraus das Drehbuch zu seinem neuen Film „Poll“ entwickelt.
„Poll“ wurde nach dreijähriger Vorbereitung, mit einem opulenten Budget und teilweise über 1000 Komparsen als internationale Koproduktion in Estland gedreht. Das Herrenhaus ist extra für den Film gebaut worden, nicht nur als Kulisse, sondern als Studio auch für die Innenaufnahmen des Films. Eine Meisterleistung der Szenenbildnerin Silke Buhr, die dafür mit dem Bayerischen Filmpreis 2011 ausgezeichnet wurde.
Atmosphärisch dicht macht Kraus hier am Beispiel des Verfalls einer Familie die heraufziehenden Katastrophen des 20. Jahrhunderts sinnlich erfahrbar. Ein Ausnahmefilm!
Im Gespräch mit Herbert Spaich erläutert Chris Kraus seine Konzeption bei „Poll“:[media id=201 width=320 height=20]
Zur Arbeit an dem Film „Poll“: die Produzentin Maike Kordes, Jeanette Hain und Richy Müller in einem weiteren Studiogespräch:[media id=200 width=320 height=20]