Deutschland 2009
Regie: Lilian Franck & Robert Cibis
Kinostart: 9. September 2010 (Farbfilm)
Musikdokumentationen sind ein weites Feld! Seit einiger Zeit finden manche von ihnen sogar den Weg auf die Kinoleinwand – sind also nicht mehr auf die Enklaven von „Arte“, den Dritten Fernsehprogrammen oder das DVD-Regal angewiesen. Junge Filmemacher verstehen es inzwischen allerdings auch meisterhaft, dem Genre jenseits der Biederkeit des Bildungsprogramms neue cineastische Dimensionen zu eröffnen. Dafür ist „Pianomania“ ein besonders gelungenes Beispiel. Es geht um klassische Musik – genauer um Klaviermusik. Doch nicht Stars wie Lang Lang oder Alfred Brendel spielen die Hauptrolle, sondern ein junger, äußerst sympathischer Mann, der Stefan Knüpfer heißt und von dem die Welt bisher nichts gehört hat, zumindest außerhalb des professionellen Konzertbetriebs.
Stefan Küpfer ist Klavierstimmer mit Leib und Seele. Ein Meister seines Fachs – nicht nur in der Mechanik der Klaviatur, sondern vor allem bei den feinen Modulationen der empfindlichen Saiten eines Konzertflügels. Er ist ausgebildeter Klavierbauer und Konzerttechniker. Nach eigenem Bekunden findet er seine Bestätigung in der persönlichen Zusammen-arbeit mit den Künstlern.
Als Meisterstimmer und Cheftechniker von Steinway & Sons begleitet er die großen Pianisten unserer Zeit, um das Instrument vor ihren Konzerten einzurichten. Zum Beispiel den Flügel, auf dem Lang Lang im Wiener Konzerthaus Mozart spielen wird. Da sorgt Knüpfer für das richtige Instrument – wir lernen: jeder Flügel klingt anders – und die angemessene Sitzgelegenheit für den chinesischen Virtuosen.Der hat genaue Vorstellungen, Anschlag und Klangfarbe betreffend. Stefan Knüpfer kümmert sich deshalb nicht nur um den perfekten Klang, genauso wichtig ist die Pflege des Seelenlebens des sensiblen Pianisten. Er ist sich freilich auch bewusst, dass er ohne Knüpfer aufgeschmissen wäre: ein symbiotisches Verhältnis also. Kompetent und dabei immer äußerst diskret erledigt Knüpfer seinen Job als hilfreicher Geist im Hintergrund.
„Die Suche nach dem perfekten Klang“ heißt der außergewöhnliche Dokumentarfilm „Pianomania“ im Untertitel, mit dem Lilian Franck und Robert Cibis in den letzten Monaten über 20 Festivals zu Gast waren und mehrfach ausgezeichnet wurden. Vor allem die Art und Weise, mit der sie der Musik-Dokumentation eine neue Dimension erschlossen haben. Es ist ihnen gelungen, die Weltklasse-Pianisten in der besonders sensiblen Probenphase vor einem großen Konzert mit der Kamera zu begleiten. Immer aus der Perspektive Stefan Knüpfers. Robert Cibis zur Arbeit an „Pianomania“:
„Weltklassemusiker arbeiten hart, sie sind es gewohnt, sich dem Publikum auf der Bühne und bei Aufnahmen immer in Höchstform zu präsentieren. Die größte Herausforderung war es deshalb, ihr Vertrauen zu gewinnen, so das sie auch ihre Schwierigkeiten vor der Kamera zeigen konnten. Im Grunde mussten sie die Kamera vergessen und sich nicht wie sonst zu fühlen, wenn Zuschauer da sind. Das klappte nur dank der vielen Drehtage, so dass wir letztlich das ganz normale Leben der Klassikstars und des Konzerttechnikers Knüpfer einfangen konnten“. Lilian Frank ergänzt:
„Das war ein Prozess, der sich über Jahre hinweg erstreckt hat. Dabei hat es uns sehr geholfen, dass Stefan Knüpfer schon positive Dreher-fahrungen während der Recherche mit uns gemacht hatte.“
Die sorgfältige Recherche und die umsichtige „Regie“ sind bei „Pianomania“ nicht zu übersehen und heben den Film über das Niveau einer schnell gestrickten aktuellen Reportage – machen ihn zu einer Hommage an das Faszinosum Musik.
Robert Cibis und Lilian Franck geben mit ihrer Dokumentation nicht nur einen authentischen Blick hinter die Kulissen des internationalen Konzertbetriebs, sondern geben die Möglichkeit, außergewöhnliche Persönlichkeiten aus der Nähe kennen zu lernen. Die Spannung etwa, wenn Pierre-Laurent Aimard sich an eine Bachaufnahme macht, überträgt sich ebenso auf den Zuschauer, wie Lang Langs eintauchen in die Klangwelt Mozarts.
In ähnlicher Weise erleben wir auch Alfred Brendel. Und dann natürlich Stefan Knüfer, der in seinem Metier ebenfalls ein Virtuose ist. Schon lange nicht mehr hat es ein Film verstanden, wie „Pianomania“ das Wunder der Musik so sinnlich erfahrbar zu machen. Dass Franck und Cibis dafür eine angemessene Bildersprache, jenseits des nur Illustrativen gefunden haben, bedarf keiner besonderen Erwähnung. Sie ist bei diesem Meisterwerk der Musikdokumentation einfach selbstverständlich!
Nach dem Kino empfiehlt sich als Lektüre „Ein Traum von Musik“: Herausgegeben von Elke Heidenreich. Eben erschienen in der „Edition Elke Heidenreich bei C. Bertelsmann“. Das Buch enthält 46 Liebeserklärungen an die Musik unterschiedlicher Temperamente – von Campino, über Hans Werner Henze bis zu Thomas Quasthoff. Tomi Ungerer bringt den „Traum“ auf den Punkt: „Musik spielt sich auf einer sich immer weiter verzweigenden Ebene ab, aber die reichste Synthese von Lärm und Klang ist für mich die innere Stille, der Widerhall der Ewigkeit, ich finde: Auch Schweigen ist eine Art musikalisches Vergnügen. Meine Ohren sind offene Trichter, sie nehmen alles auf, klassisch, ethnisch, drastisch. Mein Vergnügen daran ist unendlich, wie ein Schwamm auf Löschpapier…“