Um 1970 sorgte der „Junge deutsche Film“ für eine nachhaltige Veränderung der deutschen Filmlandschaft, die bis heute spürbar ist. Nicht alle Pioniere von damals, konnten ihre Karriere auf Dauer fortsetzen, die hoffnungsvoll und reich an Meriten begann. Dazu gehört Peter Fleischmann (Jahrgang 1937). Für zwei Jahrzehnte einer der Hoffnungsträger des bundesdeutschen Films. Versiert auf internationalem Parkett, er drehte mit Stars der europäischen Filmszene, war Fleischmann einer der ersten westdeutschen Filmemacher war, die eine Ko-Produktion mit russischen Partnern wagten. Kurz vor dem Untergang der Sowjetunion drehte Fleischmann „Es ist nicht leicht ein Gott zu sein“. Das aufwendige Werk floppte an den Kinokassen und stoppte Fleischmanns weitere Karriere. Erst 2006 gelang Fleischmann mit dem ungewöhnlichen Dokumentarfilm „Mein Freund der Mörder“ eine Art Comeback. Dieser Film ist ebenso wie drei seiner wichtigsten Arbeiten aus den 1970er und 1980er Jahren jetzt auf DVD erschienen.
„Herbst der Gammler“: mit diesem Dokumentarfilm wurde Peter Fleischmann 1967 bekannt. Am Vorabend der Studentenrevolten, nannte der anständige westdeutsche Bürger jene „Gammler“, die sich die Haare wachsen ließen und sich der Wirtschaftwunder-fleißigkeit verweigerten: dabei verstand sich Springers Boulevardpresse als Sprachrohr des angeblich „gesunden Volksempfindens“, das sich über die Verweigerung der Jungen erregten:
Peter Fleischmann drehte seinen Beitrag zum aufkeimenden öffentlichen Generationskonflikt in der Bundesrepublik mit großer Sympathie für die jungen Leute. Ein erfrischendes Plädoyer gegen den deutschen Nachkriegsmief…
Auch formal ist „Herbst der Gammler“ ein Schlüsselwerk des „Jungen deutschen Films“. Im Gegensatz zum bis dahin üblichen „Kulturfilm“ blieb Fleischmann mit der Handkamera nah an seinen Protagonisten und verzichtete auf einen erklärenden Kommentar.
„Herbst der Gammler“ ist als spannendes Streiflicht auf das gesellschaftliche Klima in Westdeutschland gegen Ende der 1960er Jahre in die Geschichte. Der Film gehört zum Bonusteil der DVD mit Fleischmanns böser Zeitgeist-Satire „Die Hamburger Krankheit“ von 1979. Ebenso wie „Herbst der Gammler“ mehrfach ausgezeichnet.
„Die Hamburger Krankheit“ wirkt bis heute nach: der bittere Ab-gesang auf das Ende der Protestbewegung, die 1968 hoffnungsvoll begann: Eine rätselhafte Epidemie sucht nicht nur Hamburg, sondern bald die ganze Republik heim.
Ein Häuflein Unermüdlicher versucht der allgemeinen und von der Polizei kontrollierten Quarantäne zu entgehen. In einem Wohnwagen machen sie sich auf eine Odyssee zu neuen Ufern – quer durch die deutschen Lande. Wo sie hinkommen, herrscht das Chaos, während in Hinterzimmern die Reaktion aufrüstet:
„Die Hamburger Krankheit“ war eine deutsch-französische-Ko-produktion. Das Drehbuch hatte Peter Fleischmann zusammen mit dem französischen Dichter/Maler Roland Topor und dem Schriftsteller Otto Jägersberg geschrieben. Der spanische Dichter Fernando Arrabal spielt als Anarchist im Rollstuhl eine Hauptrolle – an der Seite von Helmut Griem, Tilo Prückner, Ulrich Wildgruber und dem Kommunarden Rainer Langhans.
„Die Hamburger Krankheit“ ist wie alle Filme Peter Fleischmanns zu Unrecht kaum noch bekannt. StudioCanal/Arthaus hat das besondere Werk in einer besonderen Edition auf DVD veröffentlicht. Neben dem bereits erwähnten „Herbst der Gammler“ gehört noch ein ausführliches Interview mit Fleischmann zu den Extras. Außerdem ein CD-Rom-Teil mit dem einstigen, ausführlichen Presseheft als pdf-Datei zum ausdrucken.
Kein Geringerer als Ennio Morricone komponierte 1975 die Musik für Peter Fleischmanns „Der dritte Grad“. Koautor war mit Jean-Claude Carrière einer der großen europäischen Filmautoren. In den Hauptrollen Mario Adorf, Michel Piccoli und Ugo Tognazzi. Es handelte sich ebenfalls um eine deutsch-französische Koproduktion; sie spielt in Griechenland zur Zeit der Militärdiktatur in den 1980er Jahren.
Ein Mann hat Selbstmord begangen, als die Geheimpolizei vor der Tür steht. Obwohl er damit nichts zu schaffen hat, gerät der Besitzer eines Reisebüros vis-a-vis ebenfalls ins Fadenkreuz der Polizei und soll zum Verhör in die Hauptstadt gebracht werden.
Es wird eine Reise mit Hindernissen: die Bewacher und ihr Opfer kommen sich menschlich näher. Fleischmanns Film ist eine perfekte Reflektion über die Umkehr der Täter/Opfer-Rolle. Im französischen Original heißt „Der dritte Grad“ treffender „La Faille“/“Die Falle“. Auch diesen Film gibt es von Arthaus auf DVD. Hier kann man sich als Bonus Carrière Skizzenbuch zum Film und eine Auswahl zeitgenössischer Rezensionen ausdrucken. Leider steht nur die deutsch Synchron-Fassung und nicht zusätzlich das französische Original zur Verfügung. Ein Manko, mit dem man leben muss. Das ändert aber nichts an der Qualität des Films.
„Jagdszenen aus Niederbayern“: Das war der Film, der Peter Fleischmann 1969 international bekannt machte: die Verfilmung des gleichnamigen Stücks von Martin Sperr, der auch die männliche Hauptrolle spielt: Abram ist ein Außenseiter im Dorf; er soll schwul sein und damit anders als die Anderen. Nur mit Hannelore – gespielt von der jungen Angela Winkler – verbindet ihn eine Freundschaft:
Hannelore ist im Dorf als Hure verschrien. Jenseits aller Heimat-filmklischees beschreibt Fleischmann in „Jagdszenen aus Nieder-bayern“ eine bösartige Gesellschaft, die einen Individualisten unbarmherzig in eine Katastrophe treibt. Es gibt dieses Meisterwerk des „Neuen Heimatfilms“ jetzt in einer sehr schönen Edition in der Reihe „Kinokontrovers“ – mit einem umfangreichen Bonusteil.
An seine Anfänge knüpfte Peter Fleischmann schließlich mit seinen Dokumentarfilmen „Mein Freund der Mörder“ und „Al Capone von der Pfalz“ an. Im Mittelpunkt steht Bernhard Kimmel. Ein Mann, der wegen mehr oder weniger kapitaler Verbrechen die meiste Zeit seines Lebens in Gefängnissen zugebracht hat und wohl noch zubringen wird. Zuletzt wurde Kimmel wegen schwerer Körperverletzung zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.
Fleischmann hält zu ihm Distanz und stellt in den Filmen die Frage nach dem Um-gang der Gesellschaft mit ihren Außenseitern – seinem Generalthema. Die beiden Kimmelfilme gibt es als 2-Disc-Set in der „Edition Filmmuseum“ Es lohnt sich, die Filme des Peter Fleischmann zu entdecken. Auf DVD und „Jagdszenen aus Niederbayern“ auch auf Blu-ray. Sie kosten zwischen 10 und 26 Euro.