Österreich /Deutschland/Frankreich2012
Regie: Ulrich Seidl
Mit Maria Hofstätter, Nabil Saleh
Kinostart: 21. März 2012
Der Österreicher Ulrich Seidl gehört zu den Ausnahme-Regisseuren des europäischen Kinos. In seinen Filmen mischt er auf unverwechselbare Art und Weise das Dokumentarische mit dem Fiktionalen. Dabei besetzt er die Rollen mit Profis und Laien. Ebenso wie sich hier die Grenzen verwischen, geschieht dies auch bei den Filmen selbst: das Abgründige in der menschlichen Natur mischt sich mit dem sogenannten „Normalen“. In seinem jüngsten Werk – der Trilogie „Paradies: Liebe, Glaube, Hoffnung“ – geht es um die mehr oder weniger verzweifelte Suche der Menschen nach irdischer Glückseligkeit. Nachdem Teil 1 „Liebe“ im letzten Herbst in die deutschen Kinos kam, startet am 21. März „Glaube“. Teil 3 „Hoffnung“ folgt dann im Mai.
Während ihre Schwester Urlaub in Kenia macht, die übergewichtige minderjährige Nichte die Sommerferien in einem Diät-Camp verbringt, startet die strenggläubige Katholikin Anna-Maria zu einem privaten Kreuzzug, um ihren Mitmenschen die Frohe Botschaft der Bibel zu vermitteln. Eine stattliche Skulptur der Mutter Maria gehört dabei zu ihrem Handgepäck:…
Bei ihren täglichen Missions-Ausflügen will Anna-Maria vor allem die Mühselig und Beladenen auf den Pfad des rechten Glaubens bringen. Leider werden ihre Bemühungenselten geschätzt.
Anna-Maria unterwirft sich selbst den strengsten Exerzitien, um ihren Glauben zu festigen. Dazu gehört nicht nur das Gebet, sondern die Geißelung und andere Martern, um das schwache Fleisch auf den Pfad der Tugend zu zwingen.
Die fromme Büßerin hat ein persönliches Problem, das hohe Anforderung an das christliche Gebot der Nächstenliebe stellt. Dass sie mit einem Muslim verheiratet ist, wäre an sich schon Herausforderung genug. Ein Unfall hat den Mann querschnittsgelähmt in den Rollstuhl gezwungen.
Maria Hofstätter verkörpert die Anna-Maria im Volkstanzrock und 40er Jahre-Frisur als wandelndes Sinnbild der Bigotterie. Doch Ulrich Seidl belässt es in „Paradies: Glaube“ nicht beim einfachen Psychogramm einer lächerlichen Person. Vielmehr beschreibt er eine zutiefst verstörte Persönlichkeit, die verzweifelt hofft, im Glauben auf die Katastrophe ihrer privaten Verhältnisse zu finden: mit einem körperbehinderten Mann, der zudem noch aus einem anderen Kulturkreis kommt. Dennoch betrachtet Ulrich Seidl seine Passionsgeschichte aus ironischer Distanz mit exakt kalkulierten Grenzüberschreitungen. Etwa wenn Anna Maria ein stattliches Kruzifix mit ins Bett nimmt. Das hat beim letztjährigen Filmfestival für Aufsehen gesorgt. Nie war das Paradies ferner im Kino, als bei diesem Film.
Dabei erweist sich Ulrich Seidl als filmendes Pendant zur Österreichischen Literatur von Nestroy bis Jelinek… Wer daran seine Freude hat, wird auch „Paradies: Glaube“ mit großem Vergnügen betrachten.