Die Verbindung von aktueller Filmkunst mit Höhepunkten der Filmgeschichte ist wichtiger Bestandteil der Programm-Philosophie der Filmfestspiele von Locarno. Die 65. Ausgabe des Festivals ging am letzten Wochenende zu Ende. In seinem filmgeschichtlichen Teil präsentiert das Festival in diesem Jahr eine Werkschau des österreichisch-amerikanischen Regisseur Otto Preminger. 1905 in einer großbürgerlichen jüdischen Wiener Familie geboren, begann er nach einem Jura-Studium bei Max Reinhardt als Schauspieler. 1933 übernahm er von ihm die Leitung des Theaters in der Josefstadt. Inszenierte aber auch in New York und Los Angeles, wo er ab 1935 für immer blieb. Im Laufe seines Lebens drehte Otto Preminger über 40 Filme, die neu restaurierten Fassungen dieser Tage in Locarno alle zu sehen waren.
„Premingers Filme sind immer wieder auf Widerstände und Missverständnisse gestoßen. Sein Oevre schien in seiner Widersprüchlichkeit, seiner Vielfalt und disparaten Form kaum zu erschließen. Die Filme als einzelne wurden rezensiert und gewertet: hinter den Erfolgen verschwand das Gesamtwerk“.
So hat der Berliner Filmhistoriker Wolfgang Jacobsen den schwierigen Zugang zum Werk des Regisseurs und Schauspielers Otto Preminger auf den Punkt gebracht. Jetzt also in Locarno nach der großen Retro 1999 in Berlin das Gesamtwerk in Locarno m Zusammenhang! Ein paar willkürliche Eindrücke: Luxusmomente während eines Filmfestivals, in dessen Mittelpunkt aktuelle Filme stehen. Da muss man schon der Abgesandte einer großen deutschen Tageszeitung sein, um sich im Kino „ExRex“ ausschließlich den cineastischen Freuden mit Preminger hinzugeben….
„Carmen Jones“ war 1954 einer der weltweiten Erfolge Premingers: Eine moderne Version von Bizets „Carmen“. Angesiedelt in einem amerikanischen Armee-Camp und ausschließlich mit afroamerikanischen Schauspielern besetzt. In den Hauptrollen Dorothy Dandridge und Harry Belafonte.
Sowohl politisch, als auch künstlerisch kannte Otto Preminger keine Kompromisse: wir sehen das bei „Carmen Jones“ ebenso wie bei seiner „Borgy und Bess“-Verfilmung. Hier wie da ließ er seine Darsteller durch Opernsänger synchronisieren. Premingers fulminante Gershwin-Verfilmung fehlte in der Retrospektive; wegen Rechtsstreitigkeiten zwischen Produktion/Verleih und den Gershwin-Nachkommen.
Dass der Emigrant aus Österreich auch einer der wichtigsten Vertreter des Films Noir in den späten 1940er Jahren gewesen ist, wurde in der alten Welt erst verhältnismäßig spät entdeckt:
Inzwischen einer der berühmtesten Filmanfänge der Geschichte: „Laura“ von 1944: In einer raffinierten Licht-und Schatten-Dramaturgie lüftet Preminger nach und das Geheimnis um Leben Tod der schönen Laura. 11 Jahre später forderte Preminger rigoros wie damals kein anderer Filmemacher in USA die Zensur mit einem Tabubruch heraus:
Zum ersten Mal in der Filmgeschichte lieferte Preminger mit „Der Mann mit dem goldenen Arm“ die nüchterne Beschreibung eines Heroinabhängigen. Großartig gespielt von Frank Sinatra.
„The River of no return/Der Fluss ohne Widerkehr “ war 1954 der erste Film, in dem sich Marilyn Monroe als anspruchsvolle Schauspielerin an der Seite von Robert Mitchum profilieren konnte. Wobei sie der Despot Preminger auf dem Set an den Rand des Nervenzusammenbruchs gebracht haben soll. Auch dafür war er berüchtigt…
Mit seiner monumentalen Verfilmung des Bestsellers „Exodus“ von Leon Uris über die Gründung des Staates Israel setzte sich der laisierte Jude Preminger 1960 wieder einmal zwischen alle Stühle: den Einen mit zu wenig den Anderen mit zu viel Pathos. Aber ein großer kommerzieller Erfolg, der dem Regisseur anschließend nicht mehr gelingen sollte. Preminger drehte zwar weiter Filme und wurde vor allem in Frankreich von den Regisseuren der Nouvelle Vague hoch verehrt, aber seine Zeit war vorbei! Preminger litt jahrelang an Alzheimer bis er 1986 an Krebs starb…
Zur Retrospektive des Festival del film Locarno ist eine fundiert geschriebene Monographie über „Otto Preminger“ in englischer Sprache im Capricci-Verlag erschienen. Seine wichtigsten Filme sind auch in der Bundesrepublik auf DVD zu haben…