Noch einmal zur Erinnerung, die Vorgeschichte: Cannes im Mai 2011: Nach der Pressevorführung von „Melancholia“ dem neuen Film von Lars von Trier, waren sich die Journalisten in seltener Übereinstimmung einig, dass man nicht nur den potentiellen Gewinner der Goldenen Palme, sondern den bisherigen künstlerischen Höhepunkt in der Karriere des Regisseurs gesehen hatte.Entsprechend froh gestimmt ging man der Pressekonferenz entgegen. Gleich eingangs irritierte eine seltsam aggressive Abwertung des Meisterwerks durch seinen Regisseur. Befremdlich dann, wie er seine Hauptdarstellerin Kirsten Dunst peinigte und ihr die Schamröte ins Gesicht trieb, als er ankündigte, demnächst einen Porno mit ihr drehen zu wollen.
Inzwischen war die Atmosphäre Pressekonferenz zu Ungunsten von Triers umgekippt. Auf provozierende Fragen, die ein überforderter Moderator ungeschickt parierte, setzte Lars von Trier noch ein Weiteres obenauf und verkündigte – ganz der dänische Proll mit „F.U.C.K“-Tattoo auf dem Handrücken – er sei ein Nazi und was Hitler gemacht habe, sei gar nicht so übel. Dank einer eilig vom einflussreichen Branchenblatt „Hollywood Reporter“ in die Welt posaunte Meldung über den angeblichen Eklat nahm der Skandal seinen Lauf.
Obwohl sich Lars von Trier postwendend entschuldigte erklärte ihn das Festival zur „Persona non Grata“ – ein einmaliger Vorgang in der über 60jährigen Geschichte des Festival de Cannes. Neben dem katastrophalen Image-Schaden hatte sich Trier damit auch um die Goldene Palme gebracht.
Lars von Trier tat das Einzige, was man in einer solchen Situation tun kann: er ging auf Tauchstation und bereitete sein nächstes Projekt vor. Jenen in Cannes angekündigten, angeblichen „Porno“. Letzte Woche haben in und um Köln die Dreharbeiten zu „Nymphomaniac“ begonnen, so heißt das Werk durchaus genreentsprechend…
Nach „Antichrist“ und „Melancholia“ arbeitet von Trier damit zum dritten Mal in NRW. In einer stillgelegten Schule am Stadtrand von Köln wurde am Donnerstagnachmittag zur Pressekonferenz geladen. Am Vormittag war in der Schulturnhalle eine Schlüsselszene für „Nymphomaniac“ gedreht worden: „Wild und poetisch schildert „Nymphomaniac“ die erotische Reise einer Frau von der Geburt bis zum Alter von 50 Jahren“, heißt es in einer Presse-Mitteilung der Produktion. ´
Im Mittelpunkt des Films steht Joe, eine selbsternannte Nymphomanin. Sie wird von Charlotte Gainsbourg gespielt. Die ihr im Laufe der Zeit begegnenden Herren geben der amerikanische Teeny-Schwarm Shia LaBeouf und Stellan Skarsgard. Nach den Erfahrungen bei seiner denkwürdigen Cannes-Pressekonferenz verweigert sich Lars von Trier bis auf weiteres den Journalisten. Verlegen versteckt er sich beim Foto-Call hinter seinem prominenten Ensemble, um dann zu verschwinden. Bei der anschließenden PK überlässt er das Feld seinen Schauspielern und den Produzenten. Die haben kein Grund zur Klage und loben die Qualität des Drehbuchs. Shia LaBeouf ist von Köln begeistert. Unerkannt und unbehelligt radelt er in den Drehpausen durch die Umgebung. Das sei eine Lebensqualität, von der er gar nicht mehr gewusst habe, dass es sie gibt, sagt er. Daheim in Amerika könne nicht vor die Haustür treten, ohne im Nu von Fans und Fotografen belagert zu werden. Das hört man auch von anderen Hollywoodgrößen. Brad Pitt oder Johnny Depp leben deshalb gerne inkognito bei uns. Auch Charlotte Gainsbourg, die die Hauptrolle in „Nymphomaniac“ spielt und nicht Kirsten Dunst ist vom deutschen Leben angetan. Sie verkörpert zum dritten Mal bei Lars von Trier eine Schmerzensfrau.
Das mit dem Porno sei ein typischer Lars von Trier-Joke, sagt seine langjährige deutsche Koproduzentin Bettina Bettina Brokemper. Sie ist seit Langem maßgeblich an Von Trier-Produktionen beteiligt. Ihrer Ansicht nach sollte die Cannes-Affäre schleunigst zu den Akten gelegt werden. Unglücklich gelaufen: der „spezielle Humor“ des Künstlers sei missverstanden worden. Das Drehbuch und damit auch der zu erwartende Film zeige das Genie des Lars von Trier von einer wiederum völlig neuen Seite. Was Cannes als traditionelles Premierenfestival des Regisseurs betrifft, hält sich Bettina Brokemper bedeckt. Es wird sich zeigen, wie ernst es den Verantwortlichen mit der „Persona non grata“ war. Eines steht fest, Dieter Kosslick dürfte nicht einen Moment zögern, würde ihm „Nymphomaniac“ zur Premiere bei den Berliner Filmfestspielen angeboten.
Immerhin handelt es sich dabei ja fest um einen deutschen Film: Nach „Antichrist“ und „Melancholia“ ist „Nymphomaniac“ die dritte Produktion, die mit kräftiger finanzieller Unterstützung der Film-und Medienstiftung NRW realisiert. Für Geschäftsführerin Petra Müller ziert Lars von Trier die ohnehin international aufgestellte Landesfilmförderung im besonderen Masse. Auch sie hat kein Problem damit, dass es in dem Film „explizite Sexszenen“ geben soll, die freilich, wie zu erfahren war (siehe Filmspaicher), mit „Body doubles“ und digital realisiert werden sollen. Völlig richtig stellt Petra Müller fest: „Sex hat noch keinem geschadet!“
Also nach dem Austausch in freundlicher Atmosphäre – auch der Kollege vom „Hollywood Reporter“ gab sich versöhnlich – wurde man mit dem Gefühl entlassen: Ein ungewöhnlicher Film – eben einer von Lars von Trier – erwartet uns mit „Nymphomaniac“. Und damit wird der leidige Nazi-Eklat vom vergangenen Jahr in Cannes hoffentlich auch begraben! Und Lars von Trier hat im reifen Alter endlich begriffen, das Schweigen Gold sein kann…