Wie kaum ein anderer Regisseur im Laufe der Filmgeschichte, achtete Stanley Kubrick stets auf die technisch einwandfreie Präsentation seiner Werke. Doch auch an seinen Meisterwerken ist die Zeit nicht spurlos vorbei gegangen. Vor allem „A Clockwork Orange“ hat im Laufe der letzten 40 Jahre gelitten. Der Zahn der Zeit nagte an der ausgeklügelten Ästhetik der Bilder und an den raffinierten Tonmontagen, die den legendären Ruf dieses Films ausmachen. Jetzt ist er aufwändig restauriert worden.
Nach der Aufführung im Rahmen der diesjährigen Filmfestspiele von Cannes, gibt es seit dieser Woche die Restaurierte Fassung von „Clockwork Orange“ als Blu-Ray-Edition von Warner Home Video.
Der böse Bube Alex und seine Kumpel sind wieder da. Die neue digitale Technik macht es möglich, den Film nach 40 Jahren so zu sehen, wie ihn sich sein Schöpfer Stanley Kubrick 1970 vorgestellt hat: „A Clockwork Orange/Uhrwerk Orange“ ist der erste Film, der das damals völlig neue „Dolby Stereo“-Raumklang-System bei der Wiedergabe in den Kinos vorsah. Zum Leitwesen des Regisseurs waren bei der Uraufführung nur die wenigsten Filmtheater mit diesem System ausgestattet.
Alex liebt Beethoven. Insbesondere die Neunte: Glasklar und gleichzeitig eiskalt präsentiert sich „Clockwork Orange“ auch auf der Tonebene auf dieser neuen Blu-Ray.Musik, Geräusche und Dialog, das Akustische bildet bei Kubrick immer eine untrennbare Einheit mit dem Optischen: auf der Grundlage des gleichnamigen Romans von Anthony Burges geht es in „Uhrwerk Orange“ um einen jungen Mann, der seine sadistischen Neigungen lustvoll auslebt, wegen Mordes im Gefängnis landet und von Staatswegen – nicht minder brutal – durch Gehirnwäsche zu einem anständigen Menschen gemacht werden soll. Das misslingt: am Ende ist Alex wieder der alte Wüstling…
Mit „A clockwork Orange“ hat Stanley Kubrick einen irritierenden, verstörenden Film über das Böse gedreht, der seinesgleichen in der Filmgeschichte sucht. Er beschreibt eine Welt ohne Liebe, in der das Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ eine endlose Spirale der Gewalt bildet. Da hilft auch kein Beethoven weiter. Die Brillanz der Inszenierung und die Allgemeingültigkeit im Inhalt machen den Film zu einem zeitlosen Meisterwerk. Nach der Restaurierung sieht man ihm erst recht nicht mehr an, dass er bereits vor 40 Jahren gedreht wurde:
Mit oder ohne deutsche Untertitel gehört natürlich auch die englische Originalfassung zum Angebot dieser Blu-Ray. Für die deutsche Fassung war auf ausdrücklichen Wunsch Kubricks Wolfgang Staudte verantwortlich. Ihm standen für die Synchronisation u. a. Jörg Pleva, Brigitte Mira, Martin Hirte und Horst Tappert zur Verfügung. Trotzdem ist das atmosphärisch wesentliche dichtere Original der deutschen Fassung vorzuziehen. Außerdem im Bonusteil der Blu-Ray diverse Dokumentation: Über den Alex-Darsteller Malcolm McDowell und die Würdigung des Regisseur Stanley Kubrick „A life in picture“, die sein Schwager Jan Harlan postum gedreht hat. Also: Eines der großen Schlüsselwerke der europäischen Kultur des 20. Jahrhunderts in einer edel-bibliophilen und damit angemessenen Edition.
Eigentlich war die Verfilmung von Anthony Burgess Roman „Clockwork Orange“ für Stanley Kubrick nur eine Art Lückenbüßer. Eigentlich war für 1969/70 die Realisierung seines „Napoleon“-Projekts geplant, das er seit Jahren vorbereitet hatte. Ein gigantisches Werk über Hochmut und Fall des Herrschers. Entsprechend üppig war auch das Budget kalkuliert.
Es wurde nichts daraus! Zum Einen weil sich große Ausstattungs-Epen in dieser Zeit im Kino schwer taten. „Kleine“ Filme, mit wenig Geld realisiert, erwiesen sich als Kassen-Schlager. Z. B. „Easy Rider“. Außerdem war mit der Dino Di Laurentis-Produktion „Waterloo“ über Napoleon bereits begonnen worden. Ein ebenfalls teueres Werk, das dann später auch erwartungsgemäß floppte.
Kubricks riesiges „Napoleon“-Archiv ist erhalten. Alison Castle hat sich an die verdienstvolle Arbeit einer Bestandsaufnahme des gescheiterten Projekts gemacht. Unter dem Titel „Stanley Kubricks Napoleon: The Greatest Movie never made“ ist das Ergebnis der Recherchen 2009 in einer limitierten Luxus-Edition im Taschen Verlag veröffentlicht worden. Die auf 1000 Exemplare begrenzte Auflage war umgehend vergriffen und wird inzwischen im modernen Antiquariat für 3000 Euro gehandelt.
Dieser Tage hat Taschen das Werk in einer wohlfeilen einbändigen „Volksausgabe“ für 49.99 Euro neu aufgelegt. Im Riesenformat (21 x 34) und mit knapp 1000 Seiten. Da wird die Lektüre bereits rein Äußerlich zur harten Arbeit. Die sich freilich lohnt. Zu den englischen Originaltexten gibt es eine deutsche (und französische) Übersetzung im Anhang. Winzig gedruckt aber immerhin.
Da kann man das Drehbuch lesen und in den Archivalien schmöckern. Wem das im Buch nicht reicht, hat die Möglichkeit sein Wissen via Internet zu erweitern. Dem Buch liegt eine „Keycard“ zum Kubrick Online-Archiv bei. Des weiteren kommt der Meister selbst in langen Interviews zu Wort, ebenso wie Forscher und der am Projekt „Napoleon“ unmittelbar beteiligte Jan Harlan. Er faßt Kubricks Absicht bei diesem Vorhaben so zusammen:
„Es war eine Gelegenheit, ganz Europa und Nordafrika in einer Phase des Umbruchs darzustellen (…). Aber über all das hinaus war die Geschichte Napoleons für Kubrick Anlass, die Herrlichkeit ebenso wie die Zerbrechlichkeit des Menschen zu beleuchten, und zwar anhand der Figur eines charismatischen Führers, der Begabungen ohnegleichen besaß, der verehrt und zutiefst in sich selbst verliebt war….“
Kubricks „Napoleon“ wäre zweifellos ein Film von geschichtlichem Rang geworden. Dieses monumentale Buch ist ein kleiner Trost! Gleichzeitig Fundgrube und intimer Einblick in die konzeptionelle Arbeitsweise des genialen Regisseurs. Das darf man sich nicht entgehen lassen!