Deutschland/Türkei 2012
Regie: Fatih Akin
Kinostart: 6. Dezember 2012
Nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Heimat seiner Eltern, der Türkei, gilt Fatih Akin als einer der wichtigsten Filmemacher der Gegenwart. Der gesellschaftspolitischen Wirklichkeit nähert sich Akin von Zeit zu Zeit auch mit den Mitteln des Dokumentarfilms. So 2005 der kulturellen Vielfalt Istanbuls in „Crossing the Bridge – The Sound of Istanbul“. Bei den diesjährigen Filmfestspielen von Cannes hatte „Müll im Garten Eden“ von Fatih Akin Premiere. In dieser Langzeit-Dokumentation geht es um eine in Europa bisher kaum bekannte Seite der Türkischen Wirklichkeit – den vehementen Bürgerprotest gegen einen staatlich sanktionierten Umweltfrevel.
Trabzon am Schwarzen Meer im Nordosten der Türkei ist eine der schönsten Städte des Landes. Eine Großstadt in der aber wie überall in der Welt jede Menge Müll produziert wird, der entsorgt sein will. Ein abgeschiedenes Tal in der Nähe schien der Regionalverwaltung bestens für eine neue Großdeponie ge-eignet. Ohne sich um die geologischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten in der Nähe der Ortschaft Camburnu zu kümmern, wurde mit dem Bau begonnen. Was das Projekt für die Menschen in der Umgebung der künftigen Müllhalde bedeutete, wurde geflissentlich ignoriert. Sie leben in dem milden mediterranen Klima vom Teeanbau und der Fischerei. Es war selbst dem Laien von vornherein klar, dass die Deponie zu erheblichen Beeinträchtigungen der Umwelt führen wird.
Trotz heftiger Bürgerproteste wurde die Deponie gebaut – angeblich auf dem Stand der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Vollmundig versuchten Politiker und Sprecher der Betreibergesellschaft die Wogen zu glätten: man werde von der Mülldeponie weder etwas sehen, noch hören. Der riesige künstlich geschaffene Krater wurde mit einer Plastikfolie ausgekleidet. Zug um Zug soll die Deponie renaturiert erden. Ein weltweit gängige Methode – sofern sorgfältig gearbeitet wird und die Beschaffenheit des Untergrunds es zulässt. Beides war in Camburnu nicht der Fall.
In der türkischen Schwarzmeerregion sind heftige Regenfälle keine Seltenheit, die den porösen Untergrund auflösen; kleine Rinnsale verwandeln sich dann in Sturzbäche. So schwemmte es das Sickerwasser der Deponie ins Tal bzw. durch die Gärten und Plantagen von Camburnu. Die Bäche sind jetzt Kloaken und es stinkt zum Himmel. Eine Initiative der Dorffrauen rückte zum Beispiel dem örtlichen Gouverneur auf die Pelle, der nicht umhin kann, sich das Desaster anzusehen. Eilig versprach er Nachbesserungen, die dann aber auch auf sich warten ließen.
Wutbürger in der Türkei hat Fatih Akin in „Müll im Garten Eden“ über Jahre mit der Kamera begleitet. Wobei das Ganze auch einen Autobiographischen Hintergrund hat. Seine Familie stammt ursprünglich aus Camburnu. Bei Recherchen zu seinem Spielfilm „Auf der anderen Seite“ (2005) hatte der Regisseur zum ersten Mal von dem umstrittenen Deponie-Projekt gehört. Seit dem hat es ihn nicht mehr los gelassen. Er versteht sich als Chronist einer Protestbewegung gegen den Übermut der Ämter…
Bei der Realisierung von „Müll im Garten Eden“ war der örtliche Hobbyfotografe und Umweltaktionisten Bünyamin Seyrekbasan ein wichtiger Beiträger, der den Skandal teilweise mit versteckter Kamera dokumentierte.
Bürgerschaftliches Engagement in der Türkei in Umweltfragen wurde bisher kaum im Ausland wahrgenommen. Der Prominenz von Fatih Akin ist es zu verdanken, dass die Mülldeponie von Camburnu und ihre katastrophalen Folgen über die türkische Schwarzmeer-Region bekannt und die Lokalpolitiker zu Nachbesserungen gezwungen wurden. Der sorgfältig gearbeitete Dokumentarfilm weist aber über das lokale Ereignis hinaus und ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie sich mit Hilfe eines Films doch Veränderungen im gesellschaftpolitischen Bewusstsein erreichen lassen: Vor allem aber hat „Müll im Garten Eden“ in der Türkei bereits für beträchtliches Aufsehen gesorgt und zur Lethargie neigende Politiker auf Trapp gebracht. Auf dem Weg zur weiteren Annäherung der Türkei an Europa ist dem Deutsch-Türken Fatih Akin damit ein wichtiger Beitrag gelungen!