Belgien/Frankreich/Kanada/Deutschland 2009
Regie: Jaco Van Dormael
Mit Jared Leto, Diane Kruger, Sarah Polley, Linh-Dan Pham
Kinostart: 8. Juli 2010
Am Ende des 21. Jahrhunderts ist Nemo Nobody (Jared Leto) 118 Jahre alt und der letzte Sterbliche in einer Gesellschaft, die den Tod abgeschafft hat. Also für Wissenschaftler und Journalisten ein interessantes Forschungsobjekt. Alle wünschen sich Aufschluss über sein subjektives Erleben des körperlichen Verfalls, aber auch über die Möglichkeit und Grenzen seiner Erinnerung an ein Leben, das seinem Ende entgegen geht. Doch das Erinnern fällt Nemo schwer: Wunsch und tatsächlich Erlebtes haben sich im Laufe der Zeit zu einem verwirrenden Konglomerat verbunden.
Selbst unter Hypnose gelingt es Nemo nur bedingt, die versponnenen Fäden der Erinnerung zu sortieren. Wie war das mit seiner Kindheit, als die Mutter (Natsha Little) dem untreuen Vater (Pascal Duquenne) davon gelaufen bzw. gefahren ist? An Eines erinnert sich Nemo ganz genau: er steht allein auf einem Bahnsteig. Oder doch nicht?
Es könnte auch anders gewesen sein! Dann wäre Nemo mit seiner Mutter gefahren, hätte den Vater der puren Einsamkeit seiner Depression überlassen.
Auch mit den Frauen in Nemos Leben war das so eine Sache. Wer war die Liebe seines Lebens? Elise (Clare Stone/Sarah Polley) oder Jeanne (Linh-Dan Pham/Audrey Giacomini) oder Anna (Diane Kruger/Juno Temple/Laura Brumagne)!
Ebenso gefangen wie Nemo Nobody in seinem Labyrinth geträumter Erinnerungen bzw. erinnerter Träume hält Jaco Van Dormael den Zuschauer in seinem cineastischen Dschungel „Mr. Nobody“ fest. Bereits seine voraus gegangenen Filmen „Am achten Tag“ und „Toto der Held“ hat der belgische Regisseur als Exkursionen in die Grenzregionen zwischen Traum und Wirklichkeit angelegt.
Diesmal ließ er alle Hemmungen fahren und seiner Phantasie freien Lauf! Das Ergebnis ist ein skurriles Kaleidoskop über die harmlosen, manchmal aber auch dramatischen Brechungen, Glücksmomente und Verstörungen, die ein Menschleben zwischen Geburt und Tod ausmachen. Dabei gerät Jaco van Dormael nicht selten an den Rand pittoresker Kunstgewerblichkeit. Etwa wenn er neben dem Melodram auch noch die Versatzstücke des digital getunten Fantasyfilms bemüht.
„Mr. Nobody“ kann man durchaus als surrealen Bilderteppich goutieren und sich an den zahllosen Regie-Einfällen und dramaturgischen Pirouetten Van Dormaels freuen – 138 Minuten lang; ohne zu erwarten, dass er dem Zuschauer erklärt, was er damit eigentlich im Sinn hat. Wer für optische Kreuzworträtsel im Kino weder Sinn noch Nerven hat, wird am Ende froh sein, wenn Nemo endlich ins Nirvana gehen darf. Aber: das ist keineswegs sicher. Der Schluss des Films lässt sich auch nach Art der Grimm’schen Märchen interpretieren: und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute … Bis dahin denken wir über unser eigenes Leben nach! Dazu regt Jaco Van Dormael auf jeden Fall an!