Originaltitel: Madeo
Südkorea 2009
Regie: Bong Joon-ho
Mit Kim Hye-ja, Won Bin
Kinostart: 5. August 2010 (MFA)
Südkorea hat sich in den letzten Jahren – dank einer umfassenden staatlichen Filmförderung – zu einem der interessantesten Filmländer Südostasiens entwickelt. Die Produktionen gehören inzwischen zum festen Bestandteil der Programme internationaler Festivals. Bong Joon-ho ist einer der bekanntesten Vertreter dieses neuen Südkoreanischen Kinos. Durch seinen kompromisslosen Blick auf die schwierigen gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse in seinem Heimatland hat er besonderes Aufsehen erregt. Zum Beispiel mit „Memories of murder“(2003) und vor allem „The Host (2006)“: hier sorgt ein Monster aus dem Meer weniger für Angst und Schrecken, als für einen absurden Wettlauf, wie es sich am besten vermarkten lässt. Um ein Monster geht es auch in Bongs neuem Film „Mother“, der in diesem Jahr für einen Auslandsoscar nominiert worden ist.
Der halbwüchsige Do-jun (Won Bin) ist nicht der Hellste. Er lebt mit seiner Mutter (Kim Hye-ja) in einem der ärmeren Stadtviertel Seouls. Hier herrscht das Gesetz der Straße. Wer nicht acht gibt, kommt unter die Räder. Wie das unvorsichtige junge Mädchen. Ihre Leiche hängt an einem Balkongeländer. Die bizarren Umstände des Mordes deuten auf einen Psychopaten als Mörder hin.
Do-jun war einer der Letzten, mit dem das Mädchen lebend gesehen wurde. Für die ermittelnden Polizisten besteht kein Zweifel daran, dass der geistig behinderte junge Mann auch der Täter ist. Seine Mutter scheint die Einzige zu sein, die ihren Sohn für unschuldig hält. Typisch sagen die Polizisten und der Anwalt, der lustlos die Verteidigung übernommen hat. Genervt von der mütterlichen Fürsorge gibt ein Polizist ihr den lapidaren Rat, sich doch selbst auf die Suche nach dem angeblichen Täter zu machen. Alles sei möglich in dieser Gesellschaft. Da könne es schon einmal vorkommen, das ein Unschuldiger hinter Gitter komme… Also macht sich Mama auf einen privaten Kreuzzug.
Mutterliebe contra polizeiliche Willkür als Vorlage für einen Film ist weder neu noch sonderlich originell. Was der südkoreanische Regisseur Bong Joon-ho daraus in „Mother“ gemacht hat, war so allerdings bisher noch nie auf der Leinwand zu sehen: die Handlung laviert von Anfang an auf schwankendem Boden. Das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn ist nicht ungetrübt. Sie hat ihn mehr gequält als geliebt.
In diesem Film geht es deshalb nicht um Schuld und Unschuld, sondern um Macht und Ohnmacht. Bong Joon-ho erläuterte seine Absichten mit „Mother“ kürzlich beim Filmfest München:
„Es geht mir um die Beschreibung einer Mutterliebe, die sich ins Gegen-teil verkehrt; die zur Obsession wird. Ihr geht es nur um sich selbst. Da ist kein Platz für andere. Ich meine das durchaus symbolisch im Bezug auf die herrschenden Verhältnisse in Korea. Da geht es vielfach auch nur um nackten Egoismus…“
Die Mutter als „guten Geist“ einer Gesellschaft gibt es nicht mehr. Bestenfalls als Rachegöttin, die keine Gnade kennt. Mit einem zutiefst pessimistischen Blick erzählt der Regisseur in „Mother“ von einer erbarmungslosen Klassen-Gesellschaft ohne Perspektiven. Versuche, die Verhältnisse zu ändern, haben nur neue Schrecken zur Folge.
Kann man in europäischen Filmen wenigstens noch gelegentlich auf die Familie als Zufluchtsort hoffen, scheint davon in Korea nur noch ein Rudiment übrig geblieben zu sein – eine hochneurotische Mutter und ihr geistig zurückgebliebener Sohn. Die Männer hausen heruntergekommen in Bretterverschlägen: „Mother“ ist ein beklemmender, dabei virtuos inszenierter Film eines hochtalentierten Regisseurs: die Titelrolle wird von Kim Hye-ja gespielt, einer der wichtigsten Charakterdarstellerinnen Südkoreas. Ihre Verkörperung einer an klassische Vorbilder erinnernden monströsen Mutter lässt einen lange nicht mehr los…
P.S. Auf DVD sind in Deutschland „The Host“ bei MFA und „Memories of Murder“ bei I-ON New Media erschienen.
SWR2 Journal am Abend, 4.8.2010
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