Am Freitagabend ist Moritz Bleibtreu im Rahmen des „Festivals des deutschen Films“ (noch bis zum 27. Juni) in Ludwigshafen mit dem diesjährigen „Preis für Schauspielkunst“ ausgezeichnet worden. Vorher wurde zum ersten Mal nach der Uraufführung bei der Berlinale „Jüd Süss – Ein Film ohne Gewissen“ von Oskar Roehler gezeigt. Bleibtreu spielt hier Joseph Goebbels. Nach der zwiespältigen Aufnahme in Berlin störte diesmal kein „Buh“ den Applaus. Moritz Bleibtreu hat kein Problem mit Kritik. Das betonte er in einem ausführlichen Interview am nächsten Morgen im SWR-Studio Mannheim für die SWR2-Sendereihe „Zeitgenossen“ . Er betrachtet seine Interpretation als Anstoß zu einer Diskussion über das Wesen des Nationalsozialismus und einer seiner Gallionsfiguren. Schauspielerisch eine reife Leistung, bei der Goebbels weder zur Knattercharge noch zur Parodie wird.
Bleibtreus Goebbels-Performance ist der vorläufige Höhepunkt in der außergewöhnlichen Karriere, die der Schauspieler seit den 199oer Jahren gemacht hat. Moritz Bleibtreu kann alles: sogar witzige Werbung für einen Sprach-Computer. Dabei hat er ganz früh und bescheiden angefangen. Zur Erinnerung die markanten Stationen seiner Entwicklung: als Fünfjähriger unter der Regie seines Stiefvaters Hans-Peter Korff in der Fernsehserie „Neues aus Uhlenbusch“.
Im Kino machte Bleibtreu zum ersten Mal 1995 in Rainer Kaufmanns „Stadtgespräch“ in der zweiten Reihe hinter Katja Riemann und Kai Wiesinger auf sich aufmerksam. Er spielte die Karikatur eines geistig unterbelichteten Schwulen. Immer noch eine seiner Lieblingsrollen, wie er beim Interview sagt. Dann 1998 der künstlerische Durchbruch mit „Lola rennt“. Tom Tykwers geniale Regie und die großartigen schauspielerischen Leistungen von Moritz Bleibtreu und Franka Potente machten „Lola rennt“ zu einem Meilenstein in der neueren deutschen Filmgeschichte. Während Franka Potente nur bedingt an diesen Erfolg anknüpfen konnte, gelang Bleibtreu durch eine sehr überlegte Wahl seiner Rollen eine gediegene Karriere. Wichtig und nützlich erwies sich dabei die Konzentration auf bestimmte Regisseure wie Oskar Roehler und vor allem Fatih Akin – wie Bleibtreu Hamburger.
Nach „Im Juli“ und „Solino“ war „Soul Kitchen“ seine dritte Zusammenarbeit mit Fatih Akin: Moritz Bleibtreu als Filou: das ist aber nur eine Seite des Schauspielers. In „Der Baader Meinhof Komplex“ verkörperte er überzeugend die zerrissene Persönlichkeit des Andreas Baader.
Die Reaktionen auf die Bernd Eichinger-Produktion „Der Baader-Meinhof-Komplex“ waren ambivalent. Allerdings moderat gegenüber der massiven Kritik die an „Jud Süss – Film ohne Gewissen“ nach der Uraufführung bei den diesjährigen Berliner Filmfestspielen geübt wurde. In seinem semidokumentarischen Spielfilm beschäftigt sich Oskar Roehler mit dem Hintergrund der Dreharbeiten zu dem antisemitischen Hetzfilm „Jud Süss“. Moritz Bleibtreu gibt den Propagandaminister in einer Mischung aus rheinischer Frohnatur und zynischem Schwadroneur. Dieser Goebbels bleibt im Gedächtnis, selbst wenn man mit Roehlers Film selbst Probleme hat. Als reife Leistung eines der interessantesten deutschen Schauspieler der Gegenwart. Auf seine weitere Karriere darf man gespannt sein!
SWR2 Journal am Abend, 19.6.2010
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