Starkult und Glamour prägen das öffentliche Bild der Filmfestspiele von Berlin, Cannes und Venedig: Locarno – das vierte in ersten Liga europäischer Festivals – legt darauf keinen Wert. Hier geht es in erster Linie um die Kunst! Das heißt natürlich nicht, dass am Largo Maggiore ganz auf große Namen verzichtet würde. Deshalb stehen auch auf der Gästeliste des „65. Festival del Film Locarno“ große Namen, die noch bis zum 11. August mit kleinen und großen Preisen ausgezeichnet werden. Den Anfang machten gestern und heute Charlotte Rampling und Alain Delon.
Da war sie also leibhaftig: die große Charlotte Rampling auf der Piazza Grande: Elegant und doch distanziert – mit der Aura, wie sie nur die wirklich großen Stars haben – selbst auf der riesigen Bühne! Sie lässt sich feiern und trotzdem drängt sich das Gefühl auf, die Veranstaltung scheint ihr ein bisschen unangenehm zu sein. Aber als Tochter eines britischen Offiziers und Olympioniken bewahrt Charlotte Rampling Haltung.
Nachdem ihr der „Excellent Award“ überreicht wurde, den eine französische Champangnerfirma gestiftet hat, bedankt sich Charlotte Rampling bescheiden: sie wisse zwar nicht wirklich was „Excellent“ meine, aber eines sei ihr wichtig, in ihren Rollen immer etwas von der Menschlichkeit im Allgemeinen wie im Besonderen durchscheinen zu lassen…
Gestern Nachmittag hat Charlotte Rampling dann zum Gespräch mit Journalisten gebeten. Bei dieser Gelegenheit erklärte sie, was sie nach wie vor an ihrem Beruf fasziniert: die magischen Momente sei es, wenn auf der Leinwand oder auf der Theaterbühne durch die Kraft der schauspielerischen Imagination eine neue Welt entstehe…
Sie ist nicht allein der Ehre wegen in Locarno, sondern um auch ein bisschen die Werbetrommel zu rühren für ihren neuen Film „I Anna“, bei dem ihr Sohn Barnaby Southcombe Regie führte. Es handelt sich dabei um eine Neuverfilmung des Bestsellers von Elsa Lewin, der bereits vor geraumer Zeit unter dem Titel „Solo für Klarinette“ auch auf Deutsch erschienen ist.
Da klingelt es bei dem Filmkenner! Richtig! Mit der gruseligen Verfilmung verabschiedete sich damals Nico Hofmann als Regisseur, um fortan als Produzent tätig zu sein. Die Rolle der Anna spielte damals Corinna Harfuoch, die sich dabei an den (Plastelinnachbildungen) der edelsten Teil ihres Partners Götz George zu schaffen machte. Sowas verlangte Sohn Barnaby nicht von Mama Charlotte!
„I Anna“ ist eine besonders düsterste Visionen einer Amour fou von zwei, die unglücklich alt geworden sind. Gabriel Byrne verkörpert den männlichen Part. Der Film wurde in Locarno – nach der Berlinale-Premiere – nur sehr am Rande gezeigt…
Mehr Freude macht Charlotte Rampling da die Präsentation früherer Werke, wie „Der Nachtportier“, der heute noch schwerer verdaulich ist als seinerzeit 1974…
Ein weiterer Zeitzeuge der Filmgeschichte, der sich freilich seit einiger Zeit aus dem aktiven Geschäft zurück gezogen hat, ist dieser Tage ebenfalls in Locarno: Alain Delon. „Rocco und seine Brüder“ sei immer noch eine seiner liebsten Rollen. Er spielte die Titelrolle 1960 unter der Regie von Luchino Visconti. Der Film wird dann auch zu seinen Ehren gezeigt.
Bereits gestern Abend hatte Delon bei der Verleihung eines „Ehren-Leoparden“ für sein Lebenswerk ambivalent reagiert und heute die Frage provoziert, wie er es denn mit dem Alter habe. An seinem Gesicht ist nicht zu übersehen, dass hier die Kunst der modernen plastischen Chirurgie intensiv angewandt wurde.
Antwort: Vor dem Alter hat der 76jährige eigentlich keine Angst, aber vor dem Nachlassen der Kräfte, vor der Aussicht auf ein Leben im Rollstuhl. Nachdenkliche Momente mit einem Schauspieler, der ansonsten ungebrochen sein Hans-Dampf-in-allen-Gassen-Image öffentlich zelebriert. Um zum Schluss die Frage, was Alain Delon denn besonders vermisst: Romy Schneider, für die Alain Delon wohl der Mann ihres Lebens und sie für ihn die Frau seines Lebens gewesen ist… Alles sehr menschlich, alles sehr sympathisch! Auch nicht wenig tragisch…