Österreich 2011
Regie: Markus Schleinzer
Mit Michael Fuith, David Rauchenberger
Kinostart: 26. Januar 2012
Kaum ein anderes Thema bewegt die Öffentlichkeit mehr, als der sexuelle Missbrauch von Kindern. Zumal dies meistens hinter einer Fassade bürgerlicher Normalität geschieht. Von spekulativen Horrorfilmen einmal abgesehen, trauen sich Filmemacher nur selten an dieses Thema. Nicht ohne Grund: Ihm ist schwierig beizukommen. Einer der es gewagt hat, ist der Österreicher Markus Schleinzer. An seinem Debut“ Michael“ schieden sich bei den letztjährigen Filmfestspielen von Cannes die Geister. Am vergangenen Wochenende wurde der Regisseur für sein Debut mit dem diesjährigen Max Ophüls-Preis ausgezeichnet. Jetzt ist „Michael“ in den deutschen Kinos zu sehen.
Michael (Michael Fuith) ist akkurater Versicherungskaufmann mit Aufstiegschancen in seinem Betrieb. Wer ihn mit dem 10jährigen Wolfgang (David Rauchenberger) im Zoo begegnet, denkt an nichts Böses: Ein fürsorglicher Vater könnte mit seinem Sohn unterwegs sein. Doch der Eindruck trügt. Die Zoo-Besuche sind die einzige Gelegenheit, bei der Michael Wolfgang aus einem doppelt gesicherten, schallisolierten Kellerverlies in einem unscheinbaren Einfamilienhaus an die frische Luft holt.
Michael hat Wolfgang vor Monaten entführt – als Objekt seiner pädophilen Neigungen. Michael behandelt sein lebendes Sexspielzeug pfleglich. Neben dem gelegentlichen Zoobesuch, sorgt er für ausgewogene Ernährung. Das Kind scheint sich mit seinem Schicksal abgefunden zu haben und lässt widerstandslos zu, das ihm Michael Gewalt antut – immer Abends nach dem Zähneputzen.Doch dann wird das Kind krank; Michaels perfekt organisiertes Doppelleben mit der gutbürgerlichen Fassade und dem schrecklichen Geheimnis im Keller, gerät langsam aus den Fugen. Michael hat einen Unfall und muss ins Krankenhaus; seine Beförderung weckt im Betrieb die Neider und sein Gefangener probt den Aufstand.
Nüchtern aus der Täterperspektive erzählt Markus Schleinzer eine menschliche Katastrophe. Sein Kinderschänder ist kein Monster, sondern ein unauffälliger, nicht sonderlich unsympathischer Typ. Was ihn so gefährlich macht, ist eine tief sitzende Unsicherheit, verbunden mit einer Monomanie, die vielleicht Michaels gestörtes Sozialverhalten verursacht hat. Doch das ist nur eine Vermutung; der Regisseur gibt dafür nur wenige Anhaltspunkte.
In der zweiten Hälfte Films zerlegt Markus Schleinzer die janusköpfige Welt seines furchtbaren Biedermannes nach allen Regeln der Kunst. Wie Schleinzer seinen Film „Michael“ zu einer furiosen Schlusspointe treibt, gehört zu den Höhepunkten der Kinosaison.
Dabei erweist er sich als gelehriger Schüler von Michael Haneke, mit dem er jahrelang zusammen gearbeitet hat – ohne den Meister zu kopieren. Markus Schleinzer gelang mit „Michael“ in seiner lapidaren distanzierten Dramaturgie ein stilbildendes Werk. Messlatte für alle künftigen Filme, die sich mit heiklen Themen wie Kindesmisshandlung beschäftigen. Also nur Mut: „Michael“ muss man gesehen haben!