„Wenn Menschen, selbst wenn sie sich nicht kennen, sich eines Tages begegnen sollen, was immer jedem von ihnen auch zustoßen mag und wie verschieden auch ihre Wege sein mögen, so werden sie unweigerlich an diesem Tag in dem roten Kreis zusammentreffen.“
Diese Spruchweisheit Rama Krishnas hat Jean-Pierre Melville 1970 seinem Film „Le cercle rouge/Vier im roten Kreis“ als Motto vorangestellt. Dieses makellose Meisterwerk des modernen Gangsterfilms ist in einer vorzüglichen Edition auf Blu-ray innerhalb der „StudioCanal Collection“ von Arthaus/Kinowelt erschienen. Zum umfangreichen Bo-nusteil liegt der edel verpackten Disc ein Booklett bei, dass eine Würdigung Melvilles des französischen Kritikers und Verlegers Francois Guérif enthält. Er zitiert Melville, der das Thema von „Le cercle rouge“ folgendermaßen auf den Punkt brachte:
„Obwohl alles falsch und unnatürlich ist, macht man weiter. Man lässt sich übers Ohr hauen. Es ist diese Glaubwürdigkeit, die aus Marionetten reale Menschen werden lässt, die wichtig ist.“
Pech für Commissaire Mattei (André Bourvil): er sollte den Profi-Einbrecher Vogel (Gian Maria Volonté) von Marseille nach Paris im Nachtzug überführen. Doch der trixt ihn aus und flieht. Zur selben Zeit wird Corey (Alain Delon) – ebenfalls ein professioneller Dieb – vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen. Vorher hat ihm ein Wärter einen Tipp gegeben, wie man in einem mangelhaft gesicherten Juweliergeschäft reiche Beute machen kann.
Vogel ist immer noch auf der Flucht. Zufällig findet er Unterschlupf in Coreys amerikanischem Straßenkreuzer – während der gerade in einem Bistro frühstückt. So kommt Vogel heil durch die Straßensperren. Natürlich bleibt der blinde Passagier Corey nicht verborgen.
Nachdem ihm Vogel in einer heiklen Situation geholfen hat schließen die beiden einen Pakt. Zusammen und mit einem dritten Mann (Yves Montand) als Verstärkung gehen sie den Coup im Juweliergeschäft an. Der Raub gelingt: Melville hat ihn in einer über 20minütigen Sequenz in der kein Wort gesprochen wird grandios inszeniert. Doch er bringt für die Männer keine Zukunft. „Vier im roten Kreis“ zeigt die Kunst Jean-Pierre Melvilles in Vollendung. In unterkühlten Bildern erzählt er die Passionsgeschichte von Getriebenen, die traumwandlerisch in ihren Untergang driften. Durch die exquisite Besetzung der Hauptrollen mit Alain Delon, Gian-Maria Volonté, Yves Montand und Bourvil ist der Film auch darstellerisch ein zeitloser Genuss.
Einer der sich im wirklichen Leben die negativen Helden aus den Filmen Melvilles zum Vorbild nahm, war Jacques Mesrine, der in den 1970er Jahren in Frankreich eine beispielslose kriminelle Karriere machte. Nach seinem Kriegsdienst in Algerien kam er als Einbrecher zum ersten Mal mit dem Gesetz in Konflikt. Mit Erpressung und Mord wurde er dann zum „Staatsfeind No. 1“ – wie ihn die Medien titulierten.
2008 verfilmte Jean-Francois Richet unter diesem Titel das Leben Mesrines in einem epischen Zweiteiler: „Mordinstinkt“ & „Todestrieb“ gibt es jetzt in einer Doppel-DVD von Senator/ Universum-Film.
Ruppig und selbstbewusst ging Mesrine seinen Weg in die Unterwelt. Er wird von Vincent Cassel in jedem Moment überzeugend verkörpert: In einem ausführlichen Interview im Bonusteil der DVD beschreibt er u. a. seine Sicht auf Mesrine
Dokumentarisch exakt rekonstruierte Richet Mesrines Leben. Dazu gehört auch seine außergewöhnliche Wirkung auf Frauen, die sich immer wieder von ihm für seine Zwecke einspannen ließen.
Während sich Teil 1 „Mordinstinkt“ von „Public Enemy No. 1“ mit dem No-Name-Mesrine beschäftigt, zeigt Teil 2 „Todestrieb“ wie es ihm gelang, sich eine Art „Robin Hood“-Image zuzulegen. Das kultivierte er 1977 mit der Veröffentlichung seiner Memoiren „Todestrieb: Lebensbericht eines Staatsfeindes“ (Deutsch in der Edition Nautilus), die er während einem seiner zahlreichen Gefängnisaufenthalte geschrieben hat. Die Memoiren wurden ein Bestseller und ließen den wahren Charakter des skrupellosen Gewaltverbrechers in den Hintergrund rücken. Wissend um die Gunst der Medienöffentlichkeit, machte Jacques Mesrine Gerichtsverhandlungen regelmäßig zur Farce.
Durch ein anscheinend lückenloses Helfer-Netzwerk gelang es ihm immer wieder, der Polizei zu entkommen bzw. aus den Gefängnissen auszubrechen. Sogar 1978 aus einem extra für ihn gebauten Hoch-sicherheitstrakt. Die blamierte Ordnungsmacht exekutierte den „Staatsfeind No.1“ jenseits aller Rechtsstaatlichkeit am 2. November 1979 in Paris auf offener Straße.
Im Stil Jean-Pierre Melvilles inszenierte Jean-Pierre Richet „Staatsfeind No. 1“ mit nonchalanter Eleganz, mit einem genauen Blick für dokumentarische Details. Einer der besten Gangsterfilme der letzten Zeit, der zeigt, wie enorm der künstlerische Nachhall Jean-Pierre Melvilles bis heute ist. Melvilles Klassiker „Vier im roten Kreis“ gibt es von Arthaus/Kinowelt auf Blu-ray zum Preis von 20 Euro, „Public Enemy Nr. 1“ von Universum auf Blu-ray für 27 und als DVD für 22 Euro.