In der letzten Woche konnte der Berliner Regisseur Kurt Maetzig seinen 100. Geburtstag feiern. Er ist damit nicht nur der älteste lebende deutsche Filmemacher, sondern auch einer bedeutendsten nach 1945. Da er zu den Stamm-Regisseuren der Ostberliner Defa gehörte und nie im westlichen Ausland drehte, ist er in den „alten“ Bundesländern nahezu unbekannt. Eine umfangreiche Werk-Edition auf DVD gibt Gelegenheit, einen Ausnahme-Regisseur zu entdecken, der Filmgeschichte geschrieben hat.
„Sie sehen selbst, Sie hören selbst, urteilen Sie selbst“: Das war das Motto der Wochenschau „Der Augenzeuge“, mit der im Mai 1946 die Defa-Filmproduktion in der sowjetischen Besatzungszone ihren Be-trieb aufnahm:
Die Idee zur Gründung des „Augenzeugen“ – der bis in die 1970er Jahre existierte – hatte Kurt Maetzig, der die Wochenschau auch zum Anfang leitete: in vier 2-Disc-Editionen hat Icestorm-Entertainment einen repräsentativen Querschnitt durch den „Augenzeugen“ veröffentlicht: ein spannender Einblick in den offiziellen DDR-Zeitgeist.
Nachdem Kurt Maetzig inhaltlich wie formal bedeutsames Regie-Debut „Ehe im Schatten“ von 1947 aus rechtlichen Gründen bisher nicht auf DVD vorliegt, wird die Werkausgabe mit seinem zweiten, nicht weniger wichtigen Film „Die Buntkarierten“ eröffnet.
Der Film ist eine Spurensuche nach einem proletarischen Selbstverständnis vor dem Hintergrund der DDR. Maetzig erzählt die Chronik einer deutschen Arbeiterfamilie über drei Generationen. Dabei interessierte ihn das Zusammenspiel zwischen Armut und Abhängigkeit in einem kapitalistischen System der Ausbeutung:
Die DVD enthält einen umfangreichen Bonus-Teil zum Regisseur Kurt Maetzig und den politischen Hintergrund des Films. Dazu gibt es Aus-schnitte aus dem „Augenzeugen“.
Zum ersten Mal internationales Aufsehen erregte Kurt Maetzig 1950 mit „Rat der Götter“: Dabei handelt es sich um die erste deutsche Produktion, die sich mit der Großindustrie als Steigbügelhalter Adolf Hitlers und des NS-Regimes beschäftigt. Am Beispiel der IG Farben.
Das Drehbuch zu „Rat der Götter“ haben der Dichter Friedrich Wolf und Philipp Gecht geschrieben. Sie orientierten dabei an den Proto-kollen der Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesse. Im Mittelpunkt steht die fiktive Figur des Chemikers Dr. Scholz.
Auch diese DVD ist mit einem ausführlichen Extrateil ausgestattet: zum Beispiel einem aufschlussreichen „Augenzeugen“-Beitrag über den IG-Farben-Konzern. „Rat der Götter“ und vor allem sein nächster Film „Ernst Thälmann“ machten Kurt Maetzig zu einem der Vorzeige-Regisseure der DDR. Im Westen steckte man ihn deshalb kurzerhand in die Schublade des blinden SED-Propagandisten:
Mit großem Aufwand hat Kurt Maetzig seinen biographischen Film über Ernst Thälmann in zwei Teilen – „Sohn seiner Klasse“ und „Führer seiner Klasse“ und in Farbe gedreht. Formal stand dabei unübersehbar die Heroen-Portraits des NS- und des Sowjetischen Films Pate. Am Drehbuch hatte der damalige Staatsratsvoritzende Walter Ulbrich mitgewirkt. Maetzig sagte später, er würde „rote Ohren“ bekommen, so peinlich sei ihm dieser Film inzwischen.
Gerade für den westdeutschen Betrachter ist „Ernst Thälmann“ heute ein aufschlussreiches Dokument aus der Frühzeit des Kalten Krieges. In der ebenfalls bei Icestorm erschienenen 2-Disc-Edition wird der Film mit zeitgenössischen Dokumenten ergänzt. Die retrospektive Einordnung und Würdigung bleibt dem Zuschauer überlassen.
Ebenfalls staatstragend war Kurt Maetzigs 1957 ebenfalls in zwei Teilen gedrehter „Schlösser & Katen“ gedacht: die Beschreibung der landwirtschaftlichen Entwicklung in der DDR nach 1945.
Dank Kurt Maetzigs genauer Beschreibung der Verhältnisse und dem für ihn typischen sympathischen Blick auf die Menschen, geht „Schlösser & Katen“ weit über ein bloßes Propaganda-Werk weit hinaus. Dazu tragen die vorzüglichen darstellerischen Leistungen von Erwin Geschonneck, Ekkehard Schall, Hans-Peter Minetti und Angelika Hurwicz bei. Heute ist der Film ein wichtiges Zeitdokument und Teil der deutschen Filmgeschichte.
Einen seiner schönsten Filme und nach eigenem Bekunden nach wie vor persönlichen Lieblingsfilm drehte Kurt Maetzig 1956 mit „Vergesst mir meine Traudel“ nicht, mit dem Eva-Maria Hagen ihr Leinwanddebut gab.
Eine seltsame junge Frau quartiert sich bei einem Polizisten und einem Lehrer ein. Nach und nach entdecken die Beiden das Geheimnis ihrer Biographie: sie ist eine Überlebende des Konzen-trationslagers Ravensbrück. Maetzig gelang mit „Vergesst mir meine Traudel nicht“ eine mit leichter Hand inszenierte Liebesgeschichte mit ernstem zeitgeschichtlichen Hintergrund. Eine der bemerks-wertesten Regie-Leistungen seiner Karriere und in der deutschen Filmgeschichte einzigartig.
Neue formale Wege ging Kurt Maetzig 1959, in dem er mit „Der schweigende Stern“ den ersten deutschen Science Fiction-Film drehte – nach einer Vorlage des russischen Schriftstellers Stanislaw Lem: trotz der für heutige Verhältnisse bescheidenen Tricktechnik ein zukunftsweisendes Werk. Der Bonusteil der DVD gibt Aufschluss über die Entstehungsgeschichte:
Dann 1965: Kurt Maetzigs „Das Kaninchen bin ich“ wird zusammen mit anderen Filmen wie „Spur der Steine“ auf dem 11. Plenum des ZK der SED scharf kritisiert und dann verboten. Der Regisseur zur öffentlichen Distanzierung von seinem Werk gezwungen.
Maetzig und sein Drehbuchautor Manfred Bieler waren bei „Das Kaninchen bin ich“ von der fälschlichen Annahme ausgegangen, der Kulturbetrieb der DDR sei auf dem Weg der Liberalisierung. Deshalb hatten sie in ihrem Film gleich mehrere heiße Eisen angefasst: von der willkürlichen politischen Justiz im Land, bis zur laxen Moral der politischen Elite. „Das Kaninchen bin ich“ konnte erst nach der Wende gezeigt werden. Tief enttäuscht hatte Kurt Maetzig zwar anschließend noch zwei weitere Filme gedreht, sich dann aber aus dem Filmbetrieb zurück gezogen. Nahezu sein gesamtes Oevre liegt in vorbildlichen Editionen von Icestorm-Entertainment auf DVD vor: sie kosten jeweils rund 15 Euro.