Louis Malle (1932-1995) ist als einer der wichtigsten Regisseure des modernen Films in die Geschichte eingegangen. Er begann seine Karriere 1956 als Ko-Regisseur des Tiefsee-Forschers Jacques-Yves Cousteau bei dessen oscargekrönten Dokumentarfilm „Die schweigende Welt“. Anschließend machte Malle mit Filmen wie „Fahrstuhl zum Schafott“ „Privatleben“ oder „Zazie in der Metro“ als maßgeblicher Vertreter der französischen „Nouvelle vague“ Furore. Ende der 1960er Jahre und um 1980 unternahm der inzwischen welt-berühmte Regisseur ausgedehnte Reisen nach Indien und in die USA. Natürlich hatte er die Kamera im Handgepäck und brachte umfangreiches Material mit nach Hause. Daraus montierte Louis Malle einzigartige Dokumentarfilme, die jetzt teilweise zum ersten Mal in Deutschland zu sehen sind. In einer sechsteiligen Louis Malle-Edition, die bei Pierrot le fou erschienen ist.
„Ich fühlte mich von der Welt abgeschnitten und verbrachte mein Leben mit Schauspielern, Drehbuchautoren und anderen Filmleuten. Ich hatte mich leergelaufen wie eine Autobatterie. Ich hatte das dringende Bedürfnis, mich aufzuladen. Also habe ich innehalten. Ein Glück, dass ich in diesem Augenblick nach Indien gehen konnte. Dort konnte ich leben und gleichzeitig filmen!“
Das sagte Louis Malle 1974 in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Mit kleinem Aufnahmeteam reiste Malle 1967/68 mehrere Monate durch Indien. Daraus entstand der Fernseh-Mehrteiler „Phantom Indien – Rückblick auf eine Reise“ und die Kino-Dokumentation „Kalkutta“.
Die DVD-Edition enthält die sieben Teile „L’Inde Fantome“ auf zwei Discs. Es ist lange her, seit sie auch im Deutschen Fernsehen gezeigt wurde. Malle verstandt seinen Indien-Trip in erster Linie als Entdeckungsreise durch die komplexe indische Gesellschaft. Deshalb interessierten ihn in erster Linie die Menschen und die Verhältnisse, unter denen sie leben.
Louis Malle hat den Kommentar zu seinem Film selbst gesprochen: „Die unmögliche Kamera“ heißt das erste Kapitel von „Phantom Indien“. Hier bleibt er ganz nah an einem Mann, der Lehmziegel herstellt. Dann beobachtet die Kamera, wie Geier einen toten Wasserbüffel zerlegen. Der Blick auf ein Land der krassen Gegensätze. Damals Ende der 1960er Jahre war Indien für eine ganze Generation das Traumland der Sehnsucht, der Spiritualität und der Selbstfindung. Louis Malle geht es um den genauen Blick auf die Wirklichkeit. Obwohl er immer sehr genau hin sieht, wahrt er doch diskret Distanz… Auch bei Folge 5: „Ein Blick auf die Kasten“…
Malle interpretiert das Kastenwesen im heutigen Indien als gegenseitige Ausbeutung. Dabei interessieren ihn alle Stufen in der Hierarchie des gesellschaftlichen Systems, an dem sich bis heute wenig geändert hat; er legt großen Wert auf die sachliche Darstellung der Verhältnisse und vermeidet pittoresque Touristen-Bilder. Deshalb gehört Malles Arbeit nach wie vor zu den interessantesten Dokumentationen über Indien aus europäischer Perspektive.
Von Kalcutta war Louis Malle im Februar 1968 derart fasziniert, das er der Metropole einen eigenen Film widmete. Der Dokumentarfilm „Calcutta“ hat Filmgeschichte gemacht. In Deutschland war er bisher kaum zu sehen. Die DVD-Edition“ Louis Malle Indien“ schließt also eine Lücke. Es bis heute keinen anderen Film zu diesem Thema, der die künstlerische Geschlossenheit dieses Meisterwerks erreicht hätte.
„Calcutta“ war der erste Film, der auch das Hospiz und die Arbeit von Mutter Theresa in den Armenvierteln von Kalkutta würdigte. Weil es Louis Malle in seinen Indien-Filmen um grundsätzliche Fragen und ihre filmische Umsetzung geht, haben sie in den letzten vierzig Jahren nichts von ihrer Bedeutung verloren.
1979 besuchte Louis Malle zum ersten Mal Glencoe, eine Kleinstadt in Minnesota. Hier ist die Welt rundum in Ordnung und ziemlich auf-geräumt. Immerhin kamen die Vorfahren aus Deutschland. Worüber man immer noch besonders stolz ist. Malle unterhält sich mit einer älteren Dame über die entspannende Wirkung von Gartenarbeit:
Im Moment müssen die Karotten gejätet und dem Unkraut Paroli geboten werden. Louis Malle hat Glencoe zwischen 1979 und 1985 mehrfach besucht und am Beispiel dieser Kleinstadt eine filmische Chronik des Abdriftens der USA in die Rezession unter Reagan-Administration geschaffen: „God’s Country“ ist der Titel seines Dokumentarfilms, der im Rahmen der DVD-Edition „Louis Malle USA“ seine deutsche Premiere feiert.
Über zehn Jahre pendelte Louis Malle ab 1976 zwischen Südfrankreich und den USA hin und her; drehte ausschließlich in den Vereinigten Staaten einige seiner bekanntesten Filme: „Pretty Baby“, „Atlantic City“ „Crackers“, „Alamo Bay“ und „My dinner with André“. „Das Essen mit André“ gilt als einer der schönsten und gleichzeitig originellsten Filme des Regisseurs. Ein Zweipersonenstück.
Wally, der wenig erfolgreiche Autor und Schauspieler hat keine Lust, André, einen einst berühmten Regisseur, der gerade eine Krise durchlebt, zum Abendessen in einem schicken französischen Restaurant in New York zu treffen. Eine Absage wäre aber unhöflich, also bleibt Wally nichts anderes übrig.
Nach einem Drehbuch der beiden Hauptdarsteller Andre Gregory und Wallace Shawn machte Louis Malle aus „Mein Essen mit André“ ein filmisches Plädoyer für die segensreiche Wirkung des Gesprächs. Elegant, witzig und enorm unterhaltsam: In dieser Edition: In Deutsch und in der Originalfassung mit Untertiteln. Auf der Disc gibt es sogar einen Bonusteil mit Interviews.
Szenenwechsel: 1986 hat sich Louis Malle auf Spurensuche gemacht, wie in den USA mit Einwanderern umgegangen wird: „…and the pursuit of happiness/…und das Streben nach Glück“ ist eine nüchterne Dokumentation über das begrenzte Glück in Amerika als Flüchtling zu leben. Auch dies ein Film von zeitloser Qualität.
Weniger bekannte Seiten eines großen Regisseurs des zeitgenössischen Films auf sechs DVDs in zwei Kassetten von Pierrot le Fou. Preis: jeweils 23 Euro. Das „Essen mit André“ gibt es auch als Single-Disc für rund 15 Euro.